Intellektuelle und Künstler in Preußen
„Sagen Sie mir von Ihrer Berlinischen Freiheit, zu denken und zu schreiben, ja nichts. Sie reduziert sich einzig und allein auf die Freiheit, gegen die Religion so viele Sottisen zu Markte zu bringen, als man will...Lassen Sie es aber doch einmal einen in Berlin versuchen, über andere Dinge so frei zu schreiben, als Sonnenfels in Wien geschrieben hat; lassen sie es ihn versuchen, dem vornehmen Hofpöbel so die Wahrheit zu sagen...; lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für Rechte der Untertanen, der gegen Aussaugung und Despotismus seine Stimme erheben wollte, wie es jetzt sogar in Frankreich und Dänemark geschieht, und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist.“ Oder: Preußen – das ist „la patrie de la pensée“. Zwischen diesen beiden Polen, der eher vernichtenden Kritik des enttäuschten, schließlich aus Preußen ausgewanderten Dichters und Publizisten Gotthold Ephraim Lessing in einem Brief an seinen Kollegen Friedrich Nicolai von 1769 und der doch allzusehr idealisierenden Charakterisierung der führenden Vertreterin der französischen Romantik, der Madame de Stael, in der Vorrede zu ihrem Buch „De L’Allemagne“ (1810), schwankt ganz allgemein das Urteil der Nachwelt über den Standort des preußischen Staates in der Kulturgeschichte.
Dabei handelt es sich bei beiden Zitaten um Zuspitzungen zur extrem negativen wie zur übertrieben positiv ausgemalten Seite des preußischen Staates, die so genauso wenig stimmen wie die übrigen, noch heute kursierenden Schwarz-weiß-Malereien in Bezug auf Preußen überhaupt (vgl. Artikel Mythos-Preußen). Denn der preußische Staat stellt, auf das Ganze seiner wechselvollen Geschichte gesehen, nicht die ihm von kritischer Seite unterstellte kulturelle Wüste bzw. ein einziger großer Kasernenhof dar, auf dem in unterwürfigem Kadavergehorsam nur Militarismus und rationale Pflichterfüllung obwalten. Genauso wenig aber handelt es sich bei der Hohenzollernmonarchie um einen Staat, der allzeit als Hort der Toleranz und besonders ausgeprägter Geistigkeit, als Zufluchtsort für alle Dichter und Denker, gültig beschrieben werden kann. Vielmehr scheint es eher so zu sein, daß in Preußen das Mischungsverhältnis von Mars und Musen, von militärisch-politischer Dominanz und kultureller Entfaltung und Fortschrittlichkeit des Staates, durchaus so ungünstig nicht ausfällt, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten in je verschiedener Weise nach der einen oder anderen Seite ausgeprägt.
Das Verhältnis der Intellektuellen, Künstler und Wissenschaftler zum Staat Preußen ist durch Spannungen gekennzeichnet, die zunächst einmal den gleichen Bedingungen wie in anderen Staaten unterliegen. Insgesamt hängt dieses Spannungsverhältnis wechselseitig von den jeweiligen Charakteren und Interessen der Herrschenden wie der betroffenen Intellektuellen und Künstler selbst ab. Dabei gibt es zu allen Zeiten Kulturschaffende, die, aus welchen Gründen auch immer, eher staatsstabilisierend und verklärend wirken und sich mit den politischen Verhältnissen ihrer Zeit zufrieden geben und gleichzeitig immer auch solche, die die staatlich-politischen Zustände und die sozialen Verhältnisse ihrer Zeit eher kritisch sehen und diese Schattenseiten des Lebens in ihrem Schaffen und ihren Werken auch auszudrücken versuchen.
So entwickelt sich im Preußen Friedrichs II., der selbst ein herausragendes Beispiel nicht nur eines aufgeklärten, sondern ausgesprochen intellektuellen Königs einer europäischen Großmacht darstellt, wie sie für das 18. Jahrhundert wohl einmalig ist in Europa, eine unbestreitbare kulturelle Blüte. Weil der preußische König aber einseitig auf die französische Kultur fixiert ist und die sich zu seinen Lebzeiten rasant entwickelnde deutschsprachige Kultur mit einem Immanuel Kant oder Johann Wolfgang Goethe überhaupt nicht wahrnimmt und sogar verachtet, profitieren in erster Linie französische Intellektuelle und Künstler vom Mäzenatentum und der künstlerischen Förderung durch den König bzw. den preußischen Staat. Ein herausragendes Talent wie der aus Sachsen eingewanderte Lessing zieht dagegen enttäuscht nach Hamburg weiter.
Mit der zunehmenden Herausbildung liberaler und demokratischer Tendenzen sowie der allmählichen Befreiung des Künstlers aus dem mäzenatischen Abhängigkeitsverhältnis zu adligen Herrschern im 19. Jahrhundert verstärkt sich dieser eher staatsferne, künstlerisch-autonome Trend. So steht im Bereich der Malerei des 19. Jahrhundert die offizielle, Preußens Gloria verklärende Kunstschule eines Anton von Werner oder Hermann Julius Schlösser der realistischeren Darstellungsweise eines Adolph von Menzel gegenüber, dessen Tendenz von Malern wie Liebermann, Leistikow oder Skarbina vor dem Weltkrieg und mit Käthe Kollwitz, Baluschek oder auch Heinrich Zille auch nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges in Richtung einer sozialkritisch-realistischen Moderne weiterentwickelt wird. Die offizielle Staatsbaukunst eines Julius Raschdorff mit dem pompösen Dom oder eines Ernst Eberhard Ihne mit der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin stehen schon im Kaiserreich sozial engagierte Architekten wie Alfred Messel oder Paul Mebes gegenüber.
In der Weimarer Zeit tritt eine Architektengeneration auf den Plan, die in der preußischen Hauptstadt Berlin unter dem aus Königsberg stammenden Baustadtrat Martin Wagner und mit Architekten wie Bruno Taut, Walter Gropius oder Hans Scharoun mit einem an den sozialen Bedürfnissen breiterer Bevölkerungsschichten orientierten Wohnungsbaustil ganz bewußt andere Akzente setzt. Berlin wird in den 1920er Jahren auch durch diesen neuen, sozial orientierten Baustil zu einer Weltmetropole der Moderne und zum internationalen Pilgerziel von Architekturstudenten. Der eingeschlafenen Klassikerpflege der preußischen Staatstheater in Berlin steht im Bereich des Sprechtheaters die Theaterreform eines Otto Brahm sowie die neuen Schulen des Naturalismus und der Freien Volksbühnenbewegung sowie im Bereich des Musiktheaters vor allem in der Weimarer Republik die Kroll-Oper unter Otto Klemperer als Opernlabor der Moderne gegenüber. Und schließlich werden auf dem Gebiet des Filmes die preußenverherrlichenden Historienschinken der 1920er Jahre gleichzeitig von sozialkritischen Filmen wie Slatan Dudows „Kuhle Wampe“ oder dem Film im Stil der neuen Sachlichkeit „Menschen am Sonntag“ von Robert Siodmak, Fred Zinnemann und Billie Wilder gebrochen. Alle diese gegensätzlichen Tendenzen in der kulturellen Entwicklung haben in Preußens Hauptstadt Berlin ihren Schauplatz, die aber allmählich die Plattform für den nationalen kulturellen Diskurs des gesamten Deutschen Reiches abgibt und längst nicht mehr auf Preußen beschränkt ist.
Das Urteil über Preußen als einem musenfeindlichen großen Kasernenhof wird schon dadurch ad absurdum geführt, daß der Hohenzollernstaat über die Jahrhunderte weg ganz im Gegenteil durchaus sehr attraktiv für Intellektuelle und Künstler aus allen Herren Ländern ist, die seit dem 18. Jahrhundert in doch allmählich beachtlichen Größenordnungen und Qualität in die ehemalige Streusandbüchse am Rande der deutschen kulturellen Zivilisation strömen. Dies gilt zum ersten Mal deutlich für die Regierungszeit des ersten preußischen Königs Friedrich I., unter dem vor allem auf Initiative seiner kunstliebenden Frau Sophie Charlotte die Hauptstadt Berlin um 1700 zu einem der europäischen Kulturzentren heranwächst, in dem der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz die Gründung der Akademie der Wissenschaft voranbringt und Musiker vom Range des berühmten Geigers Giuseppe Torelli und der junge Georg Friedrich Händel im Charlottenburger Schloß wirken. In der Regierungszeit Friedrichs II. erfährt der kulturelle Zuzug nach Preußen eine weitere Steigerung. Aufgrund der kulturellen Vorlieben des Königs sind es jetzt aber in erster Linie Franzosen, die nach Preußen kommen, darunter allerdings so hochkarätige wie der Philosoph Voltaire, mit dem Preußens König eine lebenslange Freundschaft unterhält.
Johann Sebastian Bach spielt dem preußischen König 1747 wohl im Stadtschloß zu Potsdam nicht nur auf dem Hammerklavier vor und erhält von ihm das Thema für sein „Musikalisches Opfer“ vorgegeben, sondern versucht möglicherweise, weil er aufgrund der Auseinandersetzungen mit dem Leipziger Stadtrat aus der Pleiße-Stadt weg will, am preußischen Hof eine neue Stelle zu ergattern. Dasselbe erwägt wohl auch Wolfgang Amadeus Mozart bei seinem Besuch in Berlin 1789.
Aber auch im 19. Jahrhundert wandern beachtliche Größenordnungen von Intellektuellen und Geistesschaffenden nach Preußen, angezogen und angeworben nicht zuletzt dank der preußischen Kultur- und Wissenschaftsförderung, die insbesondere aus der preußischen Hauptstadt Berlin ganz allmählich eines der bedeutendsten Wissenschafts- und Kulturzentren Europas formt.
Den Schwaben Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Schelling sowie dem Sachsen Johann Gottlieb Fichte bei den Philosophen, später dem Nordfriesen Theodor Storm bei den Dichtern gelingt diese Seßhaftwerdung in Berlin, der Schwabe Friedrich Schiller und der Sachse und Revolutionsflüchtling Richard Wagner erwägen bzw. versuchen es zumindest. Dabei bezieht sich diese Anziehungskraft insbesondere der preußischen Hauptstadt Berlin nicht etwa ausschließlich auf solche Intellektuelle, die als begeisterte Anhänger des preußischen Staates und seiner politischen Kultur gelten können. Preußen zeichnet sich vielmehr in einer durchaus traditionellen weltanschaulichen Toleranzpolitik gerade dadurch aus, daß es denjenigen Geistesschaffenden, die in anderen Staaten aus den verschiedensten Gründen vertrieben werden, v.a. in Berlin eine neue Wirkungsmöglichkeit eröffnet.
Schon unter dem ersten Preußenkönig stellt die 1694 gegründete Universität in Halle ein für den in Leipzig vertriebenen Frühaufklärer Christian Thomasius und seinen Nachfolger Christian Wolff eine willkommene Forschungs- und Lehrmöglichkeit dar. Der 1799 wegen Ahteismusvorwürfen an der übrigens von Goethe als Minister beaufsichtigten Universität Jena geschasste Johann Gottlieb Fichte erhält daraufhin in der preußischen Hauptstadt Berlin eine neue Wirkungsstätte. Als Fichte sich in Berlin um ein neues Betätigungsfeld bemüht, erheben die Polizeibehörden der preußischen Residenzstadt wegen des aus Jena vertriebenen „Subjektes“ jedoch erhebliche Bedenken. König Friedrich Wilhelm III., ansonsten nicht gerade ein Ausbund an Entschlußkraft, zeigt in diesem Fall tolerante Größe: „Ist es wahr, daß er mit dem lieben Gotte in Feindseligkeiten begriffen ist, so mag dies der liebe Gott mit ihm abmachen; mit tut das nichts.“ Und die im Königreich Hannover unter dem erzreaktionären König Ernst August II. 1837 von der Universität Göttingen vertriebenen Sprachforscher und Märchensammler, die Gebrüder Grimm, werden 1840 in einer ansonsten reaktionär bestimmten Periode vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. aufgenommen.
Aber dennoch bildet Preußen in der deutschen Kulturgeschichte trotz des eingangs zitierten euphorischen Urteils der Madame de Stael keineswegs nur einen Hort der geistigen Toleranz, an dem alle beladenen und bedrängten Intellektuellen willkommen geheißen werden. Auch in Preußen gibt es das zu allen Zeiten bestehende Spannungsverhältnis zwischen Intellektuellen und Künstlern auf der einen und dem Staat auf der anderen Seite, der es aus Sicht der Kulturschaffenden unterläßt, sie ordentlich zu fördern oder sie gar in der Ausübung ihres Berufs hindert. Ein besonders krasser Fall von kulturellem Barbarismus stellt wohl der Umgang des zweiten Königs Preußens mit der Kultur allgemein, insbesondere aber mit dem von seinem Vater übernommenen Personal im Bereich von Wissenschaft und Kultur dar. Der Soldatenkönig, der allerdings durch den beinahen Staatsbankrott seines Vaters zum Sparen gerade auch im kulturellen Bereich angehalten ist, entläßt den Großteil der in diesem Bereich Tätigen. Andere, wie der Professor der Geschichte und Rechtswissenschaft und spätere Kommerzienrat Jakob Paul Gundling werden von Friedrich Wilhelm I.als königlicher Zeitungsvorleser zu einer Art intellektueller Hofnarr in seinem derb-possenreissenden Tabakskollegium erniedrigt. Gundling widerfährt die zweifelhafte Ehre, von seinem Dienstherren und König 1731 in Bornstedt bei Potsdam in einem weinfaßartigen Sarg beigesetzt zu werden. Es handelt sich dabei um einen ziemlich einmaligen Fall der europäischen Kulturgeschichte, allerdings auch für Preußen stellen diese Vorgänge eine Ausnahme dar.
Zwar kann Voltaire 1740 beim Amtsantritt Friedrichs II., des Großen, feststellen: „Sparta ward zu Athen“, doch gilt dies in erster Linie für französische Intellektuelle und Künstler. Der mehr schlecht als recht deutsch sprechende und schreibende preußische König erhebt das Französische nicht nur wieder zur Hofsprache in Potsdam und Berlin, sondern umgibt sich beinahe ausschließlich mit französischen Kulturschaffenden. Deshalb verweigert er nicht nur Lessing eine Stelle als Bibliothekar in Berlin, sondern auch dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn die Aufnahme in die Akademie. Der aus der Neumark stammenden Dichterin Anna Luise Karsch gegenüber, als Naturtalent und deutsche „Sappho“ gefeiert, enthält der König das versprochene Haus vor. Auch in der Musik, in der Friedrich immerhin als Komponist sowie mit dem Bau der Staatsoper Unter den Linden und einem respektablen Orchester mit erstklassiger Besetzung Beispielhaftes leistet, bleibt der König doch gleichzeitig auf dem musikalischen Stand seiner Jugendjahre stehen. Deshalb gilt ihm die erneuernde Richtung eines Christoph Willibald Gluck ebenso wenig wie sein erster Cembalist im Orchester, Carl Philipp Emanuel Bach, der deshalb wie Lessing ebenfalls enttäuscht nach Hamburg zieht und so die Abhängigkeit eines Hofbediensteten abstreifen kann.
In der finsteren Zeit der preußischen Reaktion nach den Befreiungskriegen wird der Mecklenburger Fritz Reuter im dunklen Loch der Berliner Hausvogtei eingesperrt, der allerdings zu diesem Zeitpunkt im Zusammenhang mit dem Frankfurter Wachensturm verhaftet wird und als Dichter noch gar nicht tätig und bekannt ist. Der in Koblenz geborene Schriftsteller und Publizist Ernst Dronke bezahlt seine journalistisch-sozialkritische Dokumentation der preußische Hauptstadt in dem Buch „Berlin“ (1847) allerdings mit der Verurteilung zu zwei Jahren Festungshaft. Doch auch hier stellt Preußen wohl kaum einen besonderen Fall von staatlicher Verfolgung von Intellektuellen dar, denn wie bereits Jahrzehnte zuvor der schwäbische Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart auf dem Hohenasperg (1777) werden zu Reuters Zeit 1835 in Mannheim der Dichter und Berliner Karl Gutzkow eingesperrt, 1837 die Göttinger Sieben entlassen und 1853 der liberale Historiker Georg Gottfried Gervinus in Heidelberg wegen Hochverrats angeklagt und an der Universität amtsenthoben. Und der liberale Historiker Veit Valentin wird 1917 in der nationalen Ausgrenzungsstimmung des Ersten Weltkrieges im doch so liberalen Freiburg von seinen strammen Professorenkollegen zum Verzicht auf die Venia Legendi gezwungen.
Wenn es deshalb Intellektuellen oder Künstlern in Preußen nicht gelingt, sich mit Hilfe von staatlichen Ämtern den Broterwerb zu sichern bzw. in der bestehenden Gesellschaft zu einem materiellen Auskommen und künstlerischer Anerkennung zu gelangen, dann muß dies auch im Falle Preußens nicht unbedingt und vor allem nicht zu allen Zeiten mit dem besonders repressiven Charakter oder dem zuweilen nachgesagten allgemeinen kulturellem Barbarismus der Hohenzollernmonarchie zusammenhängen. Wenn so von der Seite der Betroffenen selbst oder vom entsprechenden Betroffenheits-Journalismus der Feuilletons bzw. der Biographik so argumentiert wird, dann wird gleichzeitig allzu oft vergessen, daß die scheinbar durch Maßnahmen oder Unterlassungen des preußischen Staat mißlungene Karriere im Staatsdienst auch an der Unfähigkeit bzw. dem Unwillen der entsprechenden Kulturgrößen in diesen Angelegenheiten scheitert, wie dies bei Kleist aus seiner Sicht eher ungewollt, bei Fontane dagegen ganz freiwillig der Fall ist.
Wie dieses Spannungsverhältnis zwischen Künstler und Intellektuellem und dem preußischen Staat jeweils ausgestaltet ist, kann an einigen Einzelbeispielen etwas deutlicher aufgezeigt werden.
Mit dem aus dem sächsischen Kamenz stammenden Pfarrerssohn Gotthold Ephraim Lessing (1729-81) wirkt in den 1750er und noch einmal in den 1760er Jahren ein literarisches Talent in der preußischen Hauptstadt Berlin, das sich zum Haupt der literarischen Aufklärung in Deutschland und zu einem Vertreter einer ganz neuen, bisher wohl unerreichten Qualitätsstufe innerhalb der deutschen Literaturgeschichte entwickeln wird. Zusammen mit seinen Berliner Freunden, dem Dichter und Verleger Friedrich Nicolai (1733-1811) sowie dem jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn (1729-86), dem er in „Nathan der Weise“ ein Denkmal setzt, erreicht Lessing mit seinem Werk einen ersten Höhepunkt der deutschen Literaturkritik und Publizistik und hilft der Berliner Aufklärung, zu einem der deutschen Zentren dieser Geistesrichtung zu avancieren. Er schafft 1755 mit dem in einem Potsdamer Gartenhaus in wenigen Tagen herunter geschriebenen Stück „Miß Sara Sampson“ das erste bürgerliche Trauerspiel der deutschen Literatur sowie mit der in Berlin spielenden Komödie „Minna von Barnhelm“ eine völlig neue Qualität der realistischen Personeninszenierung im deutschen Theater. Die Kritik, die in diesem Stück die männliche Hauptperson, der preußische Major von Tellheim, am preußischen Staat übt, sorgt allerdings dafür, daß Lessing Probleme mit der Zensur bekommt. Diese Umstände dürften mit dazu beitragen, daß ihm die angestrebte Stelle als Bibliothekar bei Hofe oder als Theaterintendant in Berlin verweigert wird und er sich 1767 schließlich Hals über Kopf aus Preußen davon macht, die „verzweifelte Galeere“ verläßt und in der freieren Hansestadt Hamburg sein Glück als erster deutscher Dramaturg versucht.
Neben dem Schicksal des mythenumrankten Neffen Friedrichs des Großen, dem Prinzen Louis Ferdinand (vgl. dazu Themenartikel „mythische Personen der preußischen Geschichte“), stellt wohl das traurig-unglückliche Leben des Sprosses eines preußischen Offiziersgeschlechts, des Dichters Heinrich von Kleist (1777-1811), eines der tragischsten Kapitel der preußischen Kulturgeschichte und des Verhältnisses von künstlerischem Individuum und preußischem Staat dar. Eines der Hauptthemen seines literarischen Werkes ist die äußert differenzierte Darstellung des Menschen im Widerstreit von individuellem moralischem Empfinden und gesellschaftlicher Norm. Es handelt sich dabei, am besten ausgestaltet wohl in „Prinz Friedrich von Homburg“, mit dem Kleist sich mit dem preußischen Staat wieder arrangieren will, um ein ausgesprochen preußisches Thema. Kleist, der sich nach seiner militärischen Ausbildung zum Offizier im Garderegiment in Potsdam aus der Armee verabschiedet und sein daraufhin begonnenes Studium bald wieder abbricht, versucht in seinem nun beginnenden unsteten Leben immer wieder, in den preußischen Staatsdienst zu gelangen. Dabei ist er hin- und hergerissen zwischen dem Zwang zur Daseinsvorsorge und dem zumeist heftigeren und erfolgreicherem Wunsch nach freiem Ausleben seiner poetischen Neigung. Schon seine berühmt-geheimnisvolle Reise nach Würzburg im Jahr 1800 wird mit einem Spionageauftrag für preußische Behörden in Verbindung gebracht. Später vermeint er, von Königin Luise, die er hymnisch als „Stern in Wetterwolken“ verehrt, eine kleine Pension zu erhalten, die aber in Wahrheit von seiner eigenen Kusine Marie von Kleist kommt, einer Vertrauten der Königin. 1805 ist er schließlich in Königsberg bei der Kriegs- und Domänenkammer tätig, allerdings wiederum nur für kurze Zeit, weil ihm zu stetiger Arbeit im Verwaltungsdienst wohl auch die Befähigung fehlt. Kleist leidet als preußischer Patriot mit einem unbändigen Franzosenhaß an der Besetzung Preußens durch die Napoleonischen Truppen, obgleich er sich noch 1803 mit eben diesen zu einer Invasion nach England einschiffen lassen will. Sein Freitod 1811 am Wannsee, geographisch genau zwischen dem militärischen und dem politisch-geistigen Zentrum der preußischen Monarchie, stellt durchaus ein ingeniös inszeniertes, immerwährendes Gedenken für die Nachwelt dar. Vor allem aber markiert diese Tat einen Vorwurf an das preußische Königshaus, der Bestandteil des Kleist-Mythos wird: eine der reichsten Begabungen der deutschen Dichtung sei neben der Gleichgültigkeit und dem Unverstand der Öffentlichkeit vor allem an der mangelnden Förderung durch die preußische Obrigkeit elendiglich zugrunde gegangen. Das Fanal am Wannsee läßt den unglückseligen Kleist, dem „auf Erden nicht zu helfen war“, wie er es selbst formuliert hat, nicht nur innerhalb der preußischen Kulturgeschichte unsterblich werden, sondern macht ihn endgültig zu einem der größten preußischen Mythen. Im Gegensatz zu seiner Figur des Homburg im gleichnamigen Drama, der die Gnade eines humanen Preußentums wenigstens im Traum erfahren darf, erscheint Heinrich von Kleist sein verkrampftes Verhältnis zu Preußen bis zum bitteren Ende als ein seelen- und gnadenloses.
Die Berliner romantische Schule des frühen 19. Jahrhundert bringt mit dem aus Königsberg stammenden Dichter Ernst Theodor Hoffmann (1776-1822) einen weiteren Schriftsteller hervor, der es nicht nur zu einem der besten Erzähler der deutschen Literatur und zu Weltruhm bringen wird, sondern der sich ebenfalls, wenn auch erfolgreicher, zwischen Broterwerb im preußischen Staatsdienst und der freien Schriftstellerei aufzureiben droht. Als Dichter wird er zum Meister einer spukhaft verfremdeten Alltagswelt und damit einer der wichtigsten Vertreter der literarischen Phantastik der deutschen Romantik. Hoffmann stellt einen in seiner Vielseitigkeit exemplarischen romantischen Künstler dar, der außer als Schriftsteller beachtliche Qualitäten als Zeichner und vor allem als Musiker (Oper „Undine“) zu leisten im Stande ist. Den Zwiespalt von Brotberuf und dichterischer Neigung empfindet Hoffmann zeitlebens als schmerzlich und behandelte die Künstler-„Philister“-Problematik häufig in seinen Werken, am eindrücklichsten in der Figur des Kapellmeisters Kreisler im Künstlerroman „Lebens-Ansichten des Katers Murr“. (1821). Als preußischer Regierungsrat jedoch, der bei der Besetzung des seit der dritten polnischen Teilung 1795 preußischen Warschau durch die Franzosen 1807 dort die Unterzeichnung einer Untergebenheitsadresse an die neue Herrschaft verweigert, gelingt es im „menschenleeren, geldarmen Berlin“ zunächst nicht, weiter im preußischen Staatsdienst zu verbleiben, so daß er als Kapellmeister nach Bamberg ziehen muß. Seit 1816 ist Hoffmann dann als Richter am preußischen Kammergericht wieder in der Hauptstadt tätig und schreibt in einer kräftezehrenden Doppelexistenz gleichzeitig seine schaurig-phantastischen Erzählungen. Die letzten drei Jahre muß er dabei aufgrund einer Kabinettsordre des preußischen Königs in einer von Friedrich Wilhelm III. eingesetzten Kommission zur „Ermittlung von hochverräterischen Verbindungen und anderen gefährlichen Umtrieben“ mitwirken. Dabei hat sich der wichtigste deutsche Dichter der Romantik, der Berlin ähnlich wie Balzac Paris in die Weltliteratur einführt, auch mit dem Verfahren des in Spandau einsitzenden Turnvaters Jahn sowie patriotisch-demagogischen Studenten auseinandersetzen. Hoffmann versucht, sich für den inhaftierten Demagogen einzusetzen und ihm gegen dem Widerstand seiner Vorgesetzten einen fairen Prozeß zu ermöglichen. Wegen sarkastischer Anspielungen auf die Verfahren in seiner Novelle „Meister Floh“, die nur in zensiert-gekürzter Fassung erscheinen darf, wird der preußische Kammergerichtsrat und Dichter Hoffmann schließlich selbst in ein Disziplinarverfahren verwickelt. Nur sein früher Tod bewahrt in wohl vor Schlimmeren.
In ein weitaus schärferes Spannungsverhältnis zu seinem Land gerät der preußische Staatsbürger Heinrich Heine (1797-1856). Der geborene Rheinländer, der die preußischen Reformbemühungen nach 1806 mit Sympathien verfolgt, ist allerdings durch seine Herkunft und das Erlebnis der „französischen Freiheit“ in seiner rheinischen Heimat andere Maßstäbe als die innerpreußischen gewohnt. Deshalb schlägt mit dem Abbruch der Reformbewegung in Preußen bald nach 1815 und dem nicht eingelösten Verfassungsversprechen durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III. diese anfängliche Sympathie Heines bald in wachsame Ablehnung um. An dieser Verweigerung der Freiheit, einer staatsbürgerlichen in Form der Integration von Staat und Gesellschaft durch Repräsentation und politische Mitwirkung, entzündet sich immer wieder seine scharfe Preußen-Kritik. In der Vorrede zu den „Französischen Zuständen“ faßt Heine seine Abneigung gegen das zeitgenössische Preußen 1832 zusammen: „Widerwärtig, tief widerwärtig war mir dieses Preußen, dieser Tartüff unter den Staaten“.
Heine streitet als politischer Schriftsteller für einen Fortschritt, der durch die bürgerliche Gleichstellung unterdrückter Minderheiten und die Durchsetzung einer universellen Demokratie gekennzeichnet sein soll. Diese Ziele dürfen demnach durchaus mit revolutionären Mitteln erkämpft werden. Kein Wunder, daß Heine mit diesem politisch-literarischen Programm im Preußen der Reaktionsperiode einer scharfen Zensur unterlegen ist. Die fortgesetzte Gegnerschaft zu Preußen führt bereits seit 1822 zu umfangreichen Zensurmaßnahmen des preußischen Staates gegen seinen Dichter, die einzelne Passagen, Artikel oder auch ganze Bände betreffen können. 1831 entschließt sich Heine, allerdings auch wegen der fehlenden Aussicht auf eine bürgerliche Anstellung, für den Rest seines Lebens nach Paris überzusiedeln.
Auch der im märkischen Neuruppin geborene Theodor Fontane (1819-98) hat lange Jahre damit zu kämpfen, das angestrebte Leben als freier Schriftsteller mit der Notwendigkeit, den täglichen Lebensunterhalt für sich und die seinen zu bestreiten, miteinander zu verbinden. Zunächst erlernt er nach dem Vorbild seines Vaters einen Brotberuf als Apotheker. Doch die früh entwickelte Neigung zur Schriftstellerei sind stärker und lassen bald den Entschluß reifen, ausschließlich schriftstellerisch tätig zu sein. Zunächst sieht sich Fontane aber seit 1850 gezwungen, bei der preußischen Regierung als Journalist im „Literarischen Cabinett“ des Innenministeriums, eine Art preußischer Propagandaeinrichtung, tätig zu sein. Dieser politische „Frontwechsel“ ist deshalb um so brisanter, als der eigentlich dem Jungen Deutschland nahestehende Dichter in der Revolution von 1848 noch auf den Berliner Barrikaden gekämpft hat, wenn er dies in seinen autobiographischen Zeugnissen der Spätjahre auch ironisierend herunterzuspielen versucht. Insofern stellt es für den jungen Familienvater keinen leichten Entschluß dar, sich bei der konservativen preußischen Regierung der 1850er Jahre verdingen zu müssen, wirtschaftlich sieht er aber wenig Alternativen. „Ich habe mich heute der Reaction für monatlich 30 Silberlinge verkauft und bin wiederum angestellter Sriblifax...Man kann nun ‘mal als anständiger Mensch nicht durchkommen...“ schreibt Fontane resigniert an einen Freund. Nach weiteren Tätigkeiten, zumeist als Journalist und allmählich berühmt werdender Theaterkritiker, lehnt Fontane es 1876 zum Entsetzen seiner auf mehr Sicherheit drängende Frau endgültig ab, einen sicheren Broterwerb zu behalten und gibt seine Stelle als erster Sekretär der Akademie der Künste zugunsten eines Lebens als freier Schriftsteller auf. Die Konflikte Fontanes mit der preußischen Obrigkeit halten sich nach seinem Arrangement mit den politischen Gegebenheiten nach der Revolution von 1848 zwar äußerlich in Grenzen, dennoch pflegt er zeitlebens ein äußerst ambivalentes Verhältnis zu Preußen. In seinem Werk jedoch, vor allem aber in seinen erst später veröffentlichten Briefen, wird er zu einem der kritischsten Beobachtern des Niedergangs des, wie er es verstand, „wahren Preußentums“, das er dem wilhelminisch-forschen und repressiven Borussismus entgegenstellt. Nachdem er als Sänger preußischer Heldenlieder begonnen hat, entwickelt Fontane in seiner letzten Lebensphase wie kaum ein zweiter Autor des poetischen Realismus und der Literatur des 19. Jahrhunderts überhaupt in seinen Gesellschaftsromanen eine Analyse der zeitgenössischen, brüchig gewordenen preußisch-deutschen Gesellschaft mit ihren überlebten preußischen Sittengesetzen und Standesgrenzen. Am treffendsten wird wohl in „Effi Briest“ diese steife Starre, der überlebte und falsche Moralismus sowie der rigorose Pflichtbegriff einer solchen preußischen Lebensauffassung in der Person des Landrates Instetten ausgebreitet, der die natürliche Freiheitsbedürfnisse seiner Frau Effi unterdrückt und damit beider Leben zerstört. Fontane seziert in seinem Werk mit einem wachen Blick die politisch-sozialen Fehlentwicklungen und Mißstände und verbindet dabei sprachliche Meisterschaft mit kritisch-distanzierter Entlarvung des preußischen Niedergangs. Fontane entwirft somit in seinem Werk nicht nur eine humanistische Variante des Preußentums, sondern gleichzeitig für den deutschen Roman den Anschluß an die europäische Entwicklung eines kritischen Gesellschaftsromans, wie dies gleichzeitig in Rußland Tolstoi und in Frankreich Zola bewirken.
Ebenfalls aus der Zeit des späten 19. Jahrhunderts, in der im bereits amalgierenden und reichsweite Dimensionen erreichenden Deutschen Kaiserreich die letzten Zuckungen preußischen Wesens wahrzunehmen sind, soll hier aus dem Bereich der Malerei ein letztes Beispiel des unterschiedlichen Verhältnisses von Künstler und preußischem Staat beleuchtet werden. Der in Frankfurt an der Oder geborene Maler Anton von Werner (1843-1915) entwickelt sich unter der Protektion des Kaiserhauses der Hohenzollern zum Verherrlicher und Verklärer der nationalen deutschen Sendung des preußischen Staates. Mit seinen bis zur Jahrhundertwende entstandenen Historienbildern, in denen er eine kritiklose, monumentale und auf die großen Personen der preußischen Geschichte zugespitzte Akzentuierung vornimmt, gelingt es Werner, ein bestimmtes, verklärendes Bild der preußischen Geschichte der Reichseinigungszeit festzulegen. Er verbindet in seinen Auftragsbildern Preußens Gloria mit dem neuen Kaiserreich, wobei seine eindimensionalen Propagandastücke von Hurra-Patriotismus, Nationalismus und Imperialismus geprägt sind. Werners akademisch erstarrte nationale Malerei beherrscht im Kaiserreich den offiziellen preußisch-deutschen Kunstbetrieb. Auch der aus Schlesien stammende Adolph von Menzel (1815-1905) wählt Themen aus der preußischen Geschichte vor allem des glorreichen 18. Jahrhunderts zu einem seiner bevorzugten Darstellungsbereiche. Zwischen 1849 und 1860 schafft er seine berühmte Serie von Historiengemälden um Friedrich den Großen, mit denen er zum wohl bedeutendsten Schilderer der friderizianischen Epoche wird und bis heute das Bild jener Zeit maßgeblich prägt. Hierzu zählen Bilder wie die „Tafelrunde in Sanssouci“ (1850) oder das „Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci“ (1852). Anders als Werner bedient sich Menzel dabei aber eines bestimmten Realismus und einer ironischen Brechung seiner Darstellung. So stellt er den Preußenkönig etwa in dem 1850-56 entstandenen Bild „Friedrich der Große und die Seinen bei Hochkirch“ in wenig heldenhafter Stellung und Physiognomie im Hintergrund des Bildes dar, während die Soldaten nicht nur im Vordergrund des Bildes plaziert sind, sondern auch noch ganz unheroisch schlaftrunken ihrer Niederlage entgegentorkeln. Deutlich wird diese Malhaltung auch bei dem Bild der „Huldigung der Schlesischen Stände“ (1855) sowie später in „Das Ballsouper“ (1878), bei dem akribisch ausgeführte, lebendige und auch karikaturisierte Figuren kennzeichnend für diesen neuen Realismus Menzels sind. Bei ihm wird ein kritisch distanzierter und gleichwohl subjektiv Anteil nehmender Blick des Künstlers in die Darstellung der preußischen Geschichte eingeführt, vor allem entwickelt er eine Beobachtungsgabe für physiognomische und gestische Eigenarten. Darüber hinaus gehört Menzel zu den ersten Malern in Deutschland, die auch bis dahin nicht als abbildungswürdig erachtete Motive des heraufziehenden Industriezeitalters aufgreifen, die er sachlich und mit viel Gespür für atmosphärische Details zur Darstellung bringt, wie „Die Berlin-Potsdamer Eisenbahn“ (1847) und „Das Eisenwalzwerk“ (1875). Dabei handelt es sich um die Kunst, die für den deutschen Kaiser und preußischen König Wilhelm II. in den „Rinnstein“ gehört. Auch der königliche Kapellmeister der Staatsoper Richard Strauss muß seine frühen Opern der „Salome“ und „Elektra“ in Dresden uraufführen lassen, da die zu diesem Zeitpunkt hoffnungslos verstaubte und erstarrte Berliner Hofoper an diesen neuen Werken des eigenen Kapellmeisters kein Interesse hat.
Neben Menzel ist es im Kaiserreich in erster Linie der Berliner Max Liebermann (1847-1935), der, vom französischen Impressionismus und Naturalismus angeregt, zumindest in seinem Frühwerk stärker soziale Themen in sein Schaffen einbezieht und so auch in Preußen-Deutschland der Moderne Ausdruck verleiht. Der spätere Präsident der Preußischen Akademie der Künste gründet nach dem Skandal der auf Druck von oben geschlossenen Munch-Ausstellung 1892 die Berliner Secession (1898), der sich innovative Maler wie der Ostpreuße Lovis Corinth (1858-1925) mit seinem unverblümten Realismus anschließen. Die Moderne der Jahrhundertwende erhält in der preußischen Hauptstadt Berlin außerdem durch einen aufgeschlossenen Kern von Kunsthändlern sowie von preußisch-staatlicher Seite durch den Direktor der Nationalgalerie Hugo von Tschudi ein öffentliches Forum.
Diese realistisch-zeitkritische Schule der preußisch-deutschen Kunst wird von Malern wie Walter Leistikow und Franz Skarbina fortgesetzt und erhält in den Werken von Käthe Kollwitz, dem Schlesier Hans Baluschek sowie Heinrich Zille eine weitere sozialkritische Zuspitzung. Der Berliner Maler und Graphiker George Grosz wird während des Ersten Weltkrieges zum Mitbegründer der Berliner Dada-Gruppe. Er prangert in seinen sozialkritischen Bildern die Mißstände in der Weimarer Republik an. In Werken wie den „Stützen der Gesellschaft“ von 1926 werden in satirischer Weise konservative Akademiker, reaktionäre Presse und Kapitalisten als Totengräber der Republik gedeutet. Im Bereich der Literatur findet diese Richtung der Kunst im politisch-literarischen Journalismus eines Kurt Tucholsky (1890-1935) seine Entsprechung. Der Berliner, der als freier Schriftsteller in der Berufsrolle des freien Journalisten sein Publikum durch unterhaltsames Schreiben politisch überzeugen will, gehört zu der Minderheit von Kulturschaffenden dieser Jahre, die auf radikal-demokratische Weise für die Weimarer Verfassung und gegen deren konservativ-reaktionäre Zerstörer kämpft. Aber auch durch kleinere, heiter-ironische Romane und Lyrikbändchen wie „Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte“ oder die „Träumereien an preußischen Kaminen“ (1920) erreicht der kämpferische Demokrat große Publikumserfolge. Wegen seines Einsatzes gegen die reaktionären Feinde der Weimarer Republik landen Tucholskys Bücher am 10. Mai 1933 auf den Bücherscheiterhaufen der Nationalsozialisten, am 23. August desselben Jahres steht sein Name auf der ersten Ausbürgerungsliste des NS-Staates. Resigniert stirbt er 1935 nach der Einnahme von Gift im schwedischen Exil.