1710: Regierungskriminalität und Korruption auf dem Höhepunkt
"Nehmet Euch wohl in acht, dass Ihr nicht gar zu weitläufigen Hofstaat haltet, sondern zieht denselben nach Gelegenheit der Zeit ein und reguliert allemal die Ausgabe nach den einkünften und lasset die Rechnungsführer alle Jahre fleißig Rechnung legen...“
hatte Friedrich Wilhelm im Testament seinem Sohn ans Herz gelegt. Friedrich befolgt den guten Rat nicht mal im Ansatz. Schon seit Jahren liegt der Staatshaushalt des Königs im Argen. In der Zeit des “Sonnenkönigs“ versucht er, wie viele barocke Herrscher, dessen Pomp und Hofhaltung nachzuahmen. Die Finanzen, wie überhaupt die gesamte Verwaltung des Staates liegen in den Händen von drei korrupten unfähigen Männern. Das Volk nennt sie “Das dreifache Weh“: Hofmarschall Graf Sayn-Wittgenstein, Generalfeldmarschall von Wartensleben und der Emporkömmling Johann Kasimir Graf Kolbe von Wartenberg. Seit 1699 allmächtiger Premierminister, bläht er den höfischen Aufwand ständig auf und plündert überdies die Staatskasse zu seinen Gunsten. Er bezieht 120.000 Taler Jahresgehalt, etwa genauso viel wie das Salär von König und Königin zusammen betragen. Wartenberg macht sich nicht nur durch seine Aktivitäten und Intrigen unentbehrlich, er dient dem König auch seine Frau zur Mätresse an.
Zum Hofstaat gehören über 300 Personen, allein 85 davon arbeiten in der königlichen Küche. In der unmittelbaren Umgebung des Königs sind 7 Geheime Kammerdiener, 2 Leibchirurgen, 1 Leibschneider, 1 Kammerfourier, 3 „Kammerlakaien“, 2 Kammerbediente, 3 „Kammermohren“, 2 „Kammerzwerge“ und ein Hofnarr tätig. Im Jahr 1706 werden die jährlichen Kosten des Hofes mit 376.000 Talern beziffert. Dagegen betragen die gesamten Ausgaben für Verwaltung, Justiz, Behörden, Kirche, Schulen und Universitäten des ganzen Staates gerade mal 420.000 Taler. Graf Kolbe denkt sich ständig neue, überflüssige Ämter aus und entwickelt monströse Phantasie beim Erfinden neuer Steuern, die Land und Leute unsäglich belasten. Neben der traditionellen Kontribution, einer Grundsteuer, wird die Akzise, eine Konsumsteuer, ständig in die Höhe getrieben. Allein für Berlin steigert sie sich zwischen 1690 und 1710 von 60.000 auf 180.000 Taler. Hinzu kommen Sondersteuern, so eine Kopfsteuer, die zwischen 60 Talern für einen Grafen und 1 Taler für einen Kuhhirten differenziert. Wer Tee, Kaffee oder Kakao trinken will, muss einen Erlaubnisschein erwerben, der pro Jahr 2 Taler kostet. Es folgen Perückensteuer, Hut-, Stiefel-, Strumpf- und Kutschensteuer und junge Mädchen müssen bis zur Heirat auf ihre Jungfernschaft im Monat 2 Groschen Jungfernsteuer entrichten. Die Raubzüge Wartenbergs nehmen kein Ende. Schließlich wird auch noch der Salzverbrauch besteuert, was die Armen trifft. Besonders geschröpft werden die Berliner Juden, deren Anteil an der Akzise sich von 1696 bis 1705 auf 117.437 Taler verzwölffacht.
Erst als das Land, von Pest und Hungersnöten heimgesucht, kurz vor dem Zusammenbruch steht, lässt der König sein Trio infernale fallen. Graf Wittgenstein wird verhaftet und in der Festung Spandau arretiert. Auf dem Weg dahin rufen die Berliner dem Wagen nach: „An den Galgen, an den Galgen mit ihm!“ Er kommt mit einer Geldbuße von 70.000 Talern davon. Wartensleben bleibt, ist aber seiner Macht beraubt. Am raffiniertesten hat es Wartenberg angestellt. Schon bei seinem Amtsantritt hatte er sich ein Revers ausstellen lassen. Darin spricht ihn der König von jeglicher Schuld an zukünftigen Vergehen frei. Wartenbergs Abschiebung, der inzwischen viele Millionen Taler angesammelt hat, wird ihm durch eine üppige Pension versüsst. Mit ihrem Mann geht auch Catharina, des Königs Mätresse nach Frankfurt am Main. Sie soll später in Paris ein "Lotterleben" geführt haben.
Den preußischen Haushalt rettet der Sturz des „dreifachen Weh“ nicht mehr. Als Friedrich I. am 25. Februar 1713 stirbt, hinterlässt er einen Schuldenberg von zwanzig Millionen Talern.