Das preußische Beamtentum
Erste, gesamtstaatliche Behörden bildeten sich in Preußen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts heraus. Der wachsende Einfluss des Absolutismus in den deutschen Fürstentümern verlangte nach einer Zentralisierung der staatlichen Macht. Die unter Wirkung des Dreißigjährigen Krieges 1618-1648 eingerichteten kommissarischen Behörden des Kurfürsten Friedrich Wilhelm (1640-1688) überlagerten zunehmend die von den Ständen abhängigen Territorial-Regierungen. Dadurch wurde der Adel als politischer Entscheidungsträger weitgehend entmachtet. So genannte Amtskammern übernahmen die Verwaltung des riesigen kurfürstlichen Domänenbesitzes und die
Münz-, Zoll-, Post-, Bergwerks- und Hüttensachen.
Die Lehren des Dreißigjährigen Krieges veranlassten die deutschen Fürstentümer, die Verteidigung ihrer Territorien nach außen zu organisieren. Das verlangte den Aufbau eines stehenden Heeres. Für seine Ausrüstung und Unterhaltung wurde in Preußen 1660 das Generalkommissariat als Generalbehörde gegründet. Der weitere Ausbau von nachgeordneten Provinzialbehörden (Kommissariaten) war eng mit der Sicherung der Interessen der Armee verbunden. Die Steuerverwaltung und die öffentliche Wohlfahrtspflege (Landespolizei) wurden den Kommissariaten untergeordnet. Der militärische Aspekt prägte somit weitgehend die Organisation des öffentlichen Lebens und lässt die innere Logik der preußisch-brandenburgischen Staatsgründung 1701 erkennen.
Eine weitere Festigung des absolutistischen Staates in Preußen erfolgte unter Friedrich Wilhelm I.(1713-1740). Er baute die zentralstaatliche Bürokratie aus und drückte Staat und Gesellschaft einen soldatischen Stempel auf. Er ordnete das Staatswesen neu, indem er alle Belange der Armee in den Dienst des Staates stellte. Zur besseren Steuerverwaltung in den Landesteilen arbeitete seit 1713 das General-Finanzdirektorium als Generalbehörde. 1722/23 führte Friedrich Wilhelm I.die erste große Verwaltungsreform Preußens durch. Er stellte eine enge Verbindung zwischen Staats- und Heeresverfassung her, indem er beide Generalbehörden zum General-Ober-Finanz-Kriegs- und Domänendirektorium, kurz Generaldirektorium vereinigte.
Das königliche Kabinett wurde durch eine staatliche Zentralbehörde ersetzt. Sie unterstand nur dem König. Die Minister wurden zu Befehlsempfängern des Königs. Das Generaldirektorium bestand aus vier Territorialdepartements mit zugeordneten Fachbereichen. Ihren Sitz hatte sie im Berliner Stadtschloss. Die Kammer- und Kommissariatsbehörden auf regionaler Ebene wurden zu Kriegs- und Domänenkammern zusammengefasst. Auf unterer Ebene wirkten die Steuerräte in den Städten und die Landräte auf dem Lande. Der Adel besaß bei der Besetzung höherer Beamtenstellen und Offiziersposten weiterhin Vorrang und wurde damit noch stärker in staatliche Pflichten eingebunden. Das bewahrte seine ökonomischen und sozialen Privilegien. Die Wirtschaftspolitik blieb merkantilistisch ausgeprägt. Unter staatlicher Aufsicht entstanden neue Gewerbezweige und Manufakturen. Textil- und Waffenmanufakturen dienten hauptsächlich der Ausrüstung des stehenden Heeres. Friedrich Wilhelm I.verwandelte damit Preußen in einen frühmodernen Einheitsstaat und konzentrierte alle Bereiche auf das absolutistische Herrscheramt des Königs.
Friedrich II. (der Große) von Preußen (1740-1786) setzte im Zeichen eines aufgeklärten Absolutismus die Regierungslinie seines Vaters fort. Die Regierungsgewalt konzentrierte sich zunehmend auf seine Person. Seine Innenpolitik diente der Sicherung, Verteidigung und Erweiterung des staatlichen Machtbereiches. Behördenorganisation und Unternehmertum wurden vom militärischen Zweckdenken bestimmt. 1746 erfolgte die Einrichtung eines Kriegsdepartements im Generaldirektorium. Im selben Jahr begann eine Justizreform. Der Codex Fridericianus (neue Prozessordnung) wurde 1747 bis 1749 in den einzelnen Provinzen eingeführt. Die Verwaltung des Generaldirektoriums wandelte man in Fachressorts ohne territoriale Zuständigkeit um. Sie erhielt die Aufgabe, militärische Versorgungsprobleme zu lösen, die Verkehrserschließung sowie Bevölkerungs- und Siedlungspolitik voranzutreiben und die staatliche Gewerbeförderung zu unterstützen. Das machte den weiteren Ausbau der Verwaltung und die Vermehrung der Beamtenschaft notwendig. Dafür musste ein hierarchisch untergliederter Behördenapparat mit abgegrenzten Entscheidungsbefugnissen, Dienstwegen und Aktenregistraturen für den Schriftverkehr geschaffen werden, der bis in die entfernten Landesteile einwirken konnte.
Friedrich II. beeinflusste durch seine gezielte Innenpolitik die Herausbildung eines modernen Beamtentums. Kennzeichen waren die festen Bürostunden, ein geregelter Bürobetrieb und zahlreiche Anweisungen (Instruktionen). Eigeninitiative und Verantwortungsbereitschaft wurden eingeschränkt. Pünktliches Erscheinen war Vorschrift. Die Beamtenschaft rekrutierte sich zum großen Teil aus ehemaligen Unteroffizieren und Soldaten. Unpersönlicher militärischer Ton und unbedingte Pflichterfüllung gegenüber dem Vorgesetzten wurden so auf den zivilen Bereich übertragen. Während sich die Zahl der höheren und gehobenen Beamten zahlenmäßig wegen einer besseren Kontrollierbarkeit durch die Krone zwischen 1720 und 1786 kaum änderte, expandierte das niedere Beamtentum seit 1740. Die preußische Bürokratie gewann dabei zunehmend an Eigengewicht.
Preußen konnte sich mit Hilfe von Heer und Verwaltung vom deutschen Territorialstaat zum absolutistischen Königreich entwickeln. Mit dem weiteren Ausbau von Armee und Beamtenschaft gelang es Friedrich II., dass Preußen eine wachsende Rolle in der deutschen und europäischen Politik spielen konnte. Eine sich damit herausbildende Staatsräson gegenüber der monarchischen Herrschaft wurde wesentlich durch die Beamtenschaft getragen. In ihr hatte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts allmählich das Bewusstsein herausgebildet, zu einem ausgewählten Berufsstand mit autoritärer Amtshierarchie zu gehören. Die Einführung von Zugangsvoraussetzungen, Prüfungsverfahren und Beförderungsmöglichkeiten förderte die Überzeugung, einer besonderen sozialen Berufsgruppe anzugehören. Über den Weg des Studiums der Rechts- und Kameralwissenschaften fanden auch Bürgerliche Zugang zur Bürokratie. Auch wenn weiterhin die höheren und mittleren Beamtenstellen vom Adel besetzt wurden, so bedeutete ihre Tätigkeit die Anerkennung bürgerlicher Leistungskriterien.
Dem feudalen Prinzip der gutsherrlichen Aufsicht und Verfügungsgewalt war ein frühbürgerlicher Machtapparat gegenübergestellt. Die bürgerliche Bürokratie entwickelte sich zu einer wichtigen Stütze der preußischen Ständegesellschaft. Sie verhielt sich der Monarchie gegenüber loyal, da sie der Landerherr mit sozialer Verantwortung für die Untertanen beauftragte und ihr das Privileg der Teilnahme an der Machtausübung einräumte.
Der in der französische Julirevolution von 1830 und der Revolution von 1848/49 gestellte politische Machtanspruch des Bürgertums beeinflusste auch das demokratische Element in Teilen des preußischen Bürgertums. In der Mehrheit zeigte das dieses jedoch kein Interesse an der Zerschlagung des preußischen Staatsapparates, da die Erhaltung der bürokratischen und militärischen Ordnungselemente auch die gesellschaftliche Stellung schützte. Durch den zunehmenden Kompromiss zwischen Krone, Adel und Bürgertum im Laufe des 19. Jahrhunderts festigten sich dadurch in Preußen und im Deutschen Reich ab 1871 die monarchisch-konservativen Traditionen im Beamtentum und Militär.
Die Regelungen des preußischen Beamtenrechts wurden zunächst 1871 vom Reich übernommen, dann modifiziert und sowohl von Preußen und als auch den anderen Bundesstaaten umgesetzt. Nur einem kleinen Teil der Bevölkerung war der Zugang zu einflussreichen Positionen in Staat und Verwaltung möglich. Dabei spielten vorrangig konfessionelle und politische Gründe eine Rolle. Nur wenige Stellen der höheren Beamten waren mit Katholiken besetzt, und noch schlechter sah es für Bürger jüdischen Glaubens aus. Es gab keine Sozialdemokraten im höheren Dienst und auch Liberale mussten sich meist mit Anstellungen in der Kommunalverwaltung zufrieden geben.
Des weiteren spielten soziale Aspekte eine Rolle. Eine Laufbahn als höherer und mittlerer Beamter musste man sich auch finanziell leisten können. Ein Studium und mehrere Jahre unbezahlte Tätigkeit in einem Amt waren Voraussetzung für eine zukünftige bezahlte Stelle. Eine Position als Beamter zu bekleiden, war mit hohem Ansehen in der Bevölkerung verbunden. Weniger begüterte Familien erhofften sich in der Beamtenlaufbahn einen gesellschaftlichen Aufstieg. Die soziale Herkunft begünstigte den Einstieg in die Verwaltung. Die aristokratische Herkunft blieb besonders von Vorteil. Aber auch die Mitgliedschaft in einem studentischen Corps und das Patent des Reserveoffiziers erweiterten die Möglichkeiten der Annahme einer Bewerbung für eine leitende Stellung.
Die im preußischen Staat gewachsenen Auswahlkriterien ermöglichten die Festigung einer sozial außerordentlich homogenen und politisch eindeutig konservativen Beamtengruppe im höheren Verwaltungsdienst. Aber auch der große Teil der mittleren und unteren Beamtenstellen behielt seine konservative Prägung. Aufstiegschancen im Beruf, besonders für das Beamtentum, waren eng mit der Ableistung von Dienstjahren in der Armee verbunden. Mehr als die Hälfte aller Beamten entstammte der Armee. Soldaten im Unteroffiziersrang hatten nach zwölfjähriger Dienstzeit Anspruch auf die Einstellung als Beamte erworben. Hierarchisches Denken in Kategorien von Befehl und Gehorsam wurden so verstärkt auf die Strukturen des Verwaltungsapparates übertragen. Militärische Verhaltensmuster waren im Alltagsleben nicht mehr wegzudenken. Die Dankbarkeit der Beamten für das gewonnene Ansehen und für die Sicherung ihres Lebensunterhaltes äußerte sich in einer loyalen Haltung gegenüber dem Staat und der Regierung.
Die zeitweilige Kritik von Teilen des deutschen Bürgertums an den preußischen Strukturen der Bürokratie verlor sich mit ihrer Anpassung an die beschleunigte wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands und seiner außenpolitischen Rolle. Das aufstrebende Bürgertum suchte und fand seinen Platz im Hohenzollernstaat, aber auch an anderer Stelle, vor allem in der Wirtschaft.