8. November 1685: Brandenburg nimmt Glaubensflüchtlinge auf und gewährt großzügige Starthilfe
Am 8.November 1685 unterzeichnet Kurfürst Friedrich Wilhelm im Potsdamer Stadtschloss ein folgenreiches Dokument. Es trägt den Titel:
„Chur-Brandenburgisches Edict, Betreffend Diejenige Rechte, Privilegia und andere Wolthaten, welche Se.Churf.Durchl. zu Brandenburg denen Evangelisch-Reformirten Frantzösischer Nation, so sich in Ihren Landen niederlassen werden daselbst zu verstatten gnädigst entschlossen seyn“.
Es wird in die Geschichte als Edikt von Potsdam eingehen, Ausgangspunkt einer segensreichen Einwanderungspolitik und Beleg eines toleranten Pragmatismus. Das Edikt richtet sich an die französischen Hugenotten. Sie sind, wie der Kurfürst, Anhänger des Reformators Calvin, und werden als religiöse Minderheit im katholischen Frankreich, in dem das Prinzip “un roi – une loi – une foi“ (ein König – ein Gesetz – ein Glaube) gilt, verfolgt. Im Oktober 1685 hat der französische König den Hugenotten die Ausübung ihres Glaubens verboten. Eine Auswanderungswelle setzt ein. Der Kurfürst verspricht sich von der Zuwanderung viele Vorteile. Seine durch den 30-jährigen Krieg entvölkerten Länder benötigen dringend neue Siedler. Riesige Landstriche liegen brach, viele Siedlungen sind wüst. Zudem verstärken die Zuwanderer die calvinistischen Minderheit, der er selbst angehört. Und schließlich braucht das Land Spezialisten mit westeuropäischem Niveau. Der Kurfürst bietet den Hugenotten verlockende Privilegien: zunächst mietfreies Wohnen, dann schuldenfreie Grundstücke, kostenloses Baumaterial, Befreiung von allen Steuern und Verpflichtungen, außer der Akzise, Anschubfinanzierungen für Handwerker und Kaufleute, eine partiell eigene Gerichtsbarkeit, freie Ausübung ihres Glaubens, Beibehaltung ihrer Sprache, rechtliche Gleichstellung mit den Einheimischen, besondere Kommissare als Ansprechpartner und staatlichen Schutz.
Von den 30.000 Hugenotten, die nach Deutschland kommen, gehen 20.000 nach Brandenburg-Preußen. In Magdeburg siedeln 1375, in Mannheim 1949, auch ins preußische Königsberg gehen 500 und in Berlin bleiben über 5000 “Réfugiés“, wie sie hier genannt werden. Ihrem Einfluss ist es mit zu verdanken, dass aus der Provinzstadt eine respektable absolutistische Residenz mit westeuropäischem Flair wird.
Die Réfugiés sind hochqualifizierte Gärtner, Landwirte und Handwerker, wie Juweliere, Strumpfwirker, Schneider, Perückenmacher, Messerschmiede, Uhrmacher, Gobelinweber, Glasbläser, Spiegelhersteller, Confituriers, Pâtissiers, Destillateure. Sie bringen allein 46 neue Berufe in die Kurmark. Darunter sind Hutmacher, Seidenweber, Buchbinder, Maler, Emailleure, Weißgerber, Seifenhersteller, Tapezierer, Pastetenbäcker, Caffetiers. Auch Kaufleute, Ärzte, Chirurgen, Apotheker, Beamte und Richter sind unter den Réfugiés, französiche Bankiers und Kaufleute, geben der kurmärkischen Wirtschaft beträchtliche Impulse. Auch die brandenburgische Armee erhält durch 600 französische Offiziere und 1000 Soldaten Verstärkung.
1695 unterschreibt Friedrich III. das Dekret für den Bau einer französischen Kirche. 1705 wird die Friedrichstadtkirche (der französische Dom) am Gendarmenmarkt eingeweiht. Viele Hugenotten und ihre Nachkommen machen sich in der preußischen Geschichte einen Namen. Zu den Bekanntesten gehören die Schriftsteller Friedrich de la Motte Fouqué, Willibald Alexis und Theodor Fontane, der Chemiker Achard, Erfinder des Rübenzuckers, die Baumeister David und Friedrich Gilly, der Zeichner und Radierer Daniel Chodowiecki (als Mitglied der französischen Gemeinde) und die Mathematiker Leonhard Euler und Bernoulli, die sich als Schweizer Reformierte der französischen Gemeinde in Berlin angeschlossen haben.