16. September 1664 Toleranzedikt verbietet Schmähreden von der Kanzel: Lutheraner gegen Reformierte, Reformierte gegen Lutheraner, Intoleranz gegen Intoleranz
Einen ersten Vorgeschmack auf die nüchterne Wirklichkeit von Religionskonflikten erhält der Kurfürst Friedrich Wilhelm gelegentlich der Beerdigung seines Vaters. Der Leichnam Georg Wilhelms war zunächst einbalsamiert worden und sollte nun im Frühjahr 1642 feierlich in Königsberg beerdigt werden. Hintergrund des Streits: die kurfürstliche Familie, wenige dem Hof nahe stehende Personen und einige kleine Gemeinden gehören dem reformierten Glauben Calvins an, während die überwältigende Mehrheit der brandenburgisch-preußischen Bevölkerung Lutheraner sind. Die Leichenpredigt soll vom reformierten Hofprediger Bergius gehalten werden, was die lutherische Königsberger Geistlichkeit empört ablehnt und dem "Seelengift" ihre lutherische Kanzel des reinen Glaubens verweigert. Der Streit wird zunächst mit einem Kompromiss beigelegt. Bergius darf stehend neben dem Sarg predigen, eine zweite lutherische Leichenpredigt wird erwogen. Aber der Konflikt zwischen Lutheranern und Calvinisten wird den Kurfürsten fast während seiner ganzen Amtszeit beschäftigen.
Die in den Landesprivilegien fest geschriebene Glaubensfreiheit ist bestenfalls im ursprünglichen Sinne des Begriffs Toleranz, nämlich Duldung zu verstehen. Während die Calvinisten auf Ausgleich bedacht sind, Gemeinsamkeiten betonen und Unterschiede zwischen den Konfessionen relativieren, beschwören die orthodoxen Lutheraner immer wieder dramatische Religionskonflikte herauf. Deren Beilegung wird für das Kurfürstentum zur Existenzfrage, denn das Land kann nur mit ausländischen Fachkräften, häufig Calvinisten, modernisiert und organisiert werden. Auch bei der Steuerbewilligung durch die Stände spielt die Zusicherung der Glaubensfreiheit eine Rolle. Das aber ist der lutherischen Geistlichkeit, die die Calvinisten für Ketzer hält, zu wenig. Trotz wiederholter Religionsgespräche, Kompromissangebote und repressiver Maßnahmen gelingt es dem Kurfürsten nicht, die verordnete Toleranz durchzusetzen. Schließlich reißt ihm der Geduldsfaden und er droht:
"Ich will sie jagen, dass ihnen die Schuhe abfallen und erweisen, dass ich Herr des Landes sei."
Am 16.September 1664 erlässt er ein zweites Toleranzedikt, das Schmähreden von der Kanzel verbietet. Ultimativ werden die lutherischen Geistlichen aufgefordert, diese Verpflichtung zur konfessionellen Friedenspolitik zu unterschreiben. Intoleranz gegen Intoleranz. Pfarrer, die sich weigern, werden des Amtes enthoben, der berühmte Liederdichter Paul Gerhardt verlässt 1669 Berlin. Der Widerstand der lutherischen Geistlichkeit ist gebrochen, aber der Friede nicht hergestellt. Schließlich kann der Kurfürst 1685 den Hugenotten im Potsdamer Edikt versprechen:
"In einer jeden Stadt wollen wir gedachten unsern französischen Glaubensgenossen einen besonderen Prediger zu halten, auch einen bequemen Ort anweisen zu lassen, wo selbst das Exercitium Religionis Reformatae in französischer Sprache und der Gottesdienst mit eben den Gebräuchen und Zeremonien gehalten werden soll, wie es bis anhero bei den evangelisch reformierten Kirchen in Frankreich gebräuchlich gewesen."
Kaum Toleranz erfahren die wenigen Katholiken im Osten und Westen des Staates und die Juden. Das Verbot für Juden, sich in Brandenburg niederzulassen, wird erstmals mit dem Edikt vom 21.Mai 1671 aufgehoben. Reiche Wiener Juden mit einem Mindestvermögen von 10.000 Talern sollen angeworben werden, damit sie ihre Mittel ins Land bringen. Der Kurfürst verspricht sich zu Recht eine Belebung des Handels und der damit verbundenen Zoll- und Akziseeinnahmen. Gegen Zahlung von beträchtlichen Schutzgeldern werden den Juden bescheidene Privilegien eingeräumt. Auch die Befreiung von der Pflicht gegen Zahlung von 8000 Talern, zum Zeichen ihrer Herkunft, den gelben Fleck oder den roten Hut tragen zu müssen.