Frankreich - om Vorbild zum Feindbild
Unter Ludwig XIII. (1610-1643) begann Frankreich, die Vorherrschaft in Europa zu erstreben. Das Königstum war gefestigt, die Wirtschaft stabil und die Fortentwicklung der französischen Nation gegen die Gefahr der Zersplitterung gesichert. Die Außenpolitik blieb auf den Ausbau einer antihabsburgischen Koalition gerichtet und führte 1635 zum Eintritt in den Dreißigjährigen Krieg 1618-1648. Diese aktive Außenpolitik mündete in die Erringung der Vormachtstellung Frankreichs in Europa. Frankreich Aufstieg zur Führungsmacht wurde in beiden Friedenschlüssen von 1648 (Westfälischer Frieden zur Situation im Deutschen Reich) und von 1659 (Pyrenäenfrieden mit Spanien) festgeschrieben, die zugleich den Verlust der spanischen Vorherrschaft bedeuteten. Mehr als einhundert Jahre war Spaniens Stellung als Weltmacht unantastbar gewesen.
1661 begann die Phase der Alleinherrschaft Ludwig XIV. in Frankreich. Er ernannte keine Ersten Minister mehr und konzentrierte die Entscheidungsmacht in seinen Händen. Die Wahl der Sonne als Symbol seiner Herrschaft verdeutlichte den Anspruch und das Selbstverständnis eines Stellvertreters Gottes auf Erden. Frankreichs Sonnenkönig Ludwig XIV. hatte mit seinem Anspruch L’état c’est moi (“Der Staat bin ich“) dem barock-höfischen Absolutismus in Europa seine Macht demonstriert. Ungeachtet der Allmacht des Königs war die Blüte des Absolutismus jedoch weniger von persönlichen Qualitäten des Monarchen abhängig, sondern baute auf der Wirtschaftskraft des Landes und den Vorleistungen bei dessen innerer Stabilisierung und Zentralisierung auf.
Durch Förderung von Handel und Industrie ( Merkantilismus) steigerte Ludwig XIV. (1643-1715) mit Unterstützung des bügerlichen Ministers Jean-Baptiste Colbert (1619-1683) die Wirtschaftskraft des Landes. Das ermöglichte den Aufbau der größten und besten Heeresmacht in Europa. Die Armeestärke belief sich selbst in Friedenszeiten auf 170.000 bis 200.000 Mann. Damit enstand die Voraussetzung für eine ambitionierte Expansionspolitik. Mehr als die Hälfte der Staatsausgaben wurde für Kriegszwecke eingesetzt. Der Kolonialbesitz erreichte die größte Ausdehnung vor 1789. Handelsniederlassungen in Indien, in Nordamerika (Lousiana und Kanada) sowie auf den Antillen bildeten ein weltweites Netz. Die Kolonialpolitik entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer mehr zu einem Instrument der staatlichen Wirtschaftspolitik. Die umfangreicheren Aufgaben des zentralen Herrschaftsapparates erforderten eine stark zentralisierte Verwaltung. Die damit eingeleitete Tendenz des staatlichen Aufbaus prägte die französische Geschichte der Neuzeit weit über die Herrschaft Ludwigs XIV. hinaus und beeinflusste Politik, Wirtschaft und Kultur in ganz Europa.
Das Zeitalter Ludwigs XIV. war eine der glanzvollsten Perioden französischer Kulturgeschichte. Literatur, Kunst und Wissenschaften wurden für die Glorifizierung des Herrschers in den Dienst genommen, welcher dafür eine finanzkräftige Förderung der Kultur inszenierte. Besonders in den Jahren 1660 bis 1685 tat sich eine große Schar von Literaten der verschiedensten Gattungen hervor und schuf Modelle für ganz Europa. Neben Jean de La Fontaine und Blaise Pascal vertraten Piere Corneille, Nicolas Boileau und Jean Racine die Tragödie und Molière die Komödie. Der Bau des Schlosses von Versailles entsprach einer Tradition, wonach die Architektur Inspirator der Künste ist und Zeugnis für die Größe des Herrschers abzulegen hat. 1682 erfolgte der Umzug des französischen Hoffes nach Versailles. Der Hof wurde zum Muster für Europas Fürstenhäuser. Colbert gründete von Akademien, die der wissenschaftlichen, literarischen und künstlerischen Entwicklung eine einheitliche und nationale Prägung geben sollten. Nachdem Armand-Jean du Plessis, Herzog von Richelieu bereits die Académie française für Literatur und Sprache installiert hatte, entstanden 1663 die Akademie für Malerei und Bildhauerei und 1666 die Académie des sciences (Natur- und Technikwissenschaften). 1671 folgte die Gründung der Akademie für Architektur und 1672 die Akademie für Musik. In den 54 Jahren persönlicher Herrschaft war mit dem Namen Ludwig XIV. vieles an Glanz, Neuschöpfung und Reorganisation im Staatswesen verbunden, weshalb schon bald von einem Zeitalter oder Jahrhundert Ludwig XIV. gesprochen wurde ( Voltaire).
Neben Frankreich galt Brandenburg-Preußen in Europa als Musterfall einer absolut regierten Monarchie. Was das Heilige Römische Reich Deutscher Nation nach der Zersplitterung von 1525 und 1648 nicht erreichen konnte, gelang den preußischen Herrschern. Preußens Könige im 18. Jahrhundert errangen tatsächlich jene Souveränität nach innen, die Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst (1640-1688), in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erstrebt hatte. Indem er als oberster Landesheer die Rechte der Stände einschränkte, den Aufbau eines stehenden Heeres beschleunigte und erste zentrale Verwaltungsorgane einführte, schuf er die Grundlagen eines absolutistischen Staates nach französischem Vorbild. Auch in der Wirtschaftspolitik orientierte er sich an Frankreich und dachte über den regionalen Bereich hinaus. Mit dem Edikt von Potsdam (1685) ermöglichte er den französischen Glaubensflüchtlichen ( Hugenotten) die Ansiedlung in Brandenburg.
Der Erwerb der Königskrone 1701 für (Ost-)Preußen nach Verhandlungen mit dem Habsburgischen Kaiserhaus hatte für Kurfürst Friedrich III., der sich zum König Friedrich I. in Preußen krönte, weniger machtpolitische als zeremonielle Bedeutung. Prunkvolle Hofhaltung war zu dieser Zeit nicht die Ausnahme, sondern nach dem Vorbild des Sonnenkönigs Ludwig XIV. die Regel. Der weitere Ausbau des Berliner Stadtschlosses um 1700 sollte dem neu gewonnenen politischen Status Preußens durch ein repräsentatives Bauwerk entsprechen. Unter Friedrich I. wurde auch die Residenzlandschaft mit Königlichen Schlössern und Lustgärten um Berlin-Kölln systematisch weiter entwickelt. Der König hat sich dabei ebenfalls stark am französischen Vorbild orientiert. Ihm war allerdings das äußere Bild der absolutistischen Herrschaft wichtiger als deren praktisches Einwirken in die Landesverfassung und -verwaltung. Immer wieder suchte er Gelegenheiten, um auf prächtigen Festlichkeiten, die prunkvoll zeremonielle Ordnung seines Hof-Staates zu demonstrieren. Er gründete die Universität in Halle (1694), die Akademie der Künste (1699) und die Akademie der Wissenschaften (1700) in Berlin. Die Aufgabe der Künste und Wissenschaften war es, die soziale Rangordnung sichtbar darzustellen und diese als von Gott gegeben zu rechtfertigen.
Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm I konzentrierte sich dagegen weniger auf ein kostspieliges höfisches Leben als auf den Ausbau Preußens zur Militärmacht. Sein Sohn Friedrich II setzte das Werk seines Vaters fort. Als Vertreter eines aufgeklärten Absolutismus war er eng mit Frankreich verbunden. Von dort aus hatte sich seit dem 17. Jahrhundert eine fortdauernde kulturelle Hegemonie im geistigen Leben ausgebreitet. Friedrich förderte zeitlebens Kunst und Wissenschaft. Gleich nach seinem Regierungsantritt holte der König Voltaire und andere französische Aufklärer an die Akademie der Wissenschaften. In Potsdam ließ Friedrich nach seinen Plänen durch seinen Hofarchitekten von Knobelsdorff Schloss Sanssouci sowie das Neue Palais in Anlehnung an Versailles errichten. In Berlin baute er als Ausdruck seiner religiösen Toleranz die katholische Hedwigskirche.
Von der deutschen Literatur hielt Friedrich wenig, er zog die französische Sprache und Literatur vor und war selbst ein äußerst produktiver und bedeutender Autor in französischer Sprache. Sein Gesamtwerk wurde zwischen 1846 und 1857 in 30 Bänden herausgegeben. Als aufgeklärter Monarch spielte Friedrich II. eine wichtige Rolle bei der Weiterentwicklung der von Toleranz bestimmten Religionspolitik sowie der Durchsetzung von Reformen im Justiz- und Erziehungswesen. Hier zeigten sich am deutlichsten seine aufklärerischen Ideale und humanitäre Zielsetzung, obwohl auch hier das Staatsinteresse im Vordergrund stand. Die Militarisierung des öffentlichen Lebens bestimmte seine innenpolitische Tätigkeit. Unter Friedrich II. wuchs das Heer auf 200.000 Mann. Außenpolitisch war damit die Etablierung Preußens als Großmacht verbunden. Seine Umsetzung verdeutlichte die politischen Grenzen seiner aufgeklärten Humanitätsgedanken. Den Siebenjährigen Krieg (1746-1753), den Preußen mit Unterstützung von England gegen Frankreich und Österreich führte, verlor Frankreich. Preußen wurde zur zweiten deutschen Großmacht in Europa.
Mit der Französischen Revolution (1789) und dem Ausbruch des Krieges (1792) sah sich Frankreich bald einer europäischen Koalition gegenüber. Zwischen 1799 und 1814/15 wuchsen die Revolutionskriege in Expansions- und Eroberungskriege hinüber. Am Ende verlor Frankreich gegen das altständische Europa. Die revolutionären Ideen von 1789 hatten nicht nur in Preußen nach der Jahrhundertwende den Weg für bürgerliche Reformen freigesetzt, sondern mobilisierten auch große Teile der Volksmassen zur Verteidigung des Vaterlandes gegen Frankreich. Eine wichtige Rolle spielten dabei Teile der bürgerlichen Intelligenz. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte durch die französische Nationalversammlung forcierte in Preußen den Wunsch nach nationaler Identität in einem Rechts- und Verfassungsstaat. Das Bildungsbürgertum, dass seit Anfang des 19. Jahrhunderts großenteils von der aufklärerischen Gedankenwelt Frankreichs und Westeuropas beeinflusst wurde, bildete in dieser Zeit die wichtigste Trägergruppe einer bürgerlichen Denk- und Lebensweise in Preußen. Doch die napoleonische Fremdherrschaft führte aufgrund der Unterdrückung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes in Teilen der bürgerlichen Intelligenz zu einer antifranzösischen, romantisch verklärten Haltung. Diese wurde von der Reaktion des preußisch-monarchistischen Staates innenpolitisch ausgenutzt. Seine panische Jacobinerfurcht führte dazu, dass der Name Jacobiner, die äußerte Linke der französischen Revolution von 1789, zur Unterdrückung und Degradierung jeder liberalen oder demokratischen Opposition genutzt wurde.
Im Vorfeld der Revolution von 1848 enstanden nationale und freiheitlich-liberale Bewegungen, die bald durch Zensur- und Verfolgungsmaßnahmen bekämpft wurden. Das zumeist von bürgerlichen Intellektuellen getragende liberale, republikanische, demokratische Gedankengut hatte zum grosen Teil seinen Ursprung in der Französischen Revolution. Auch die Julirevolution von 1830 gegen die Bourbonenherrschaft in Frankreich inspirierte die deutsche liberal-demokratische Bewegung für Freiheit und Einheit gegen die preußische Monarchie. Diese spaltete sich zunehmend in einen lediglich auf eine Reform der bestehenden Verhältnisse gerichteten Liberalismus und in einen zunehmend demokratischen Liberalismus. Die Zentren dieser Entwicklung lagen in Baden und in der Rheinpfalz. Den Höhepunkt bildete das Hambacher Fest 1832. Auf literarischem Gebiet äußerte sich die demokratische Variante noch entschieden ausgeprägter durch Ludwig Börne und Heinrich Heine.
Auf der anderen Seite hatte Napoleon I. die französische Vorherrschaft in Deutschland zur Einführung eines Reformwerkes auch in den Rheinbundstaaten (1806-1813) genutzt. Das brachte die Polarisierung der bürgerlichen Verhältnisse voran und machte sie zu einer wirtschaftlichen starken Region. Als jedoch von der französischen Bourgeoisie nach der Julirevolution 1830 die Forderung nach Revision der Rheingrenze erhoben wurde, rief das eine Verstärkung des deutschen Nationalgefühls hervor. Es enstanden die franzosenfeindlichen Lieder Die Wacht am Rhein und Sie sollen ihn nicht haben... Die außenpolitischen Ambitionen der preußischen Monarchie förderten den Hass gegen die Franzosen in der deutschen Bevölkerung.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts konnte Frankreich seine europäische Vormachtstellung zeitweise behaupten. Sie musste jedoch mehr und mehr mit anderen Mächten wie England, Italien, Russland und Deutschland unfreiwillig geteilt werden. Selbst die Gründung des Deutschen Reiches 1871 konnte von Seiten Preußens nur über einen Krieg gegen Frankreich durchgesetzt werden. Der deutsch-französische Gegensatz blieb unverändert bestehen und bildete eine wichtige Vorbedingung für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914. Das Konfliktpotential zwischen den Großmächten sollte nicht nur die europäische Politik des ausgehenden 19. Jahrhunderts bestimmen, sondern auch die Weltpolitik des 20. Jahrhunderts.
Die Folgen des Ersten Weltkrieges, insbesondere die Ergebnisse der Friedensverhandlungen für Deutschland, ließen das Feindbild Frankreich stärker denn je wieder aufleben. Insbesondere die territorialen und wirtschaftlichen Forderungen Frankreichs führten zu einer kaum gekannten politischen Polarisierung und zur Stärkung der radikalen politischen Rechten in Deutschland. Erst nach dem verheerenden zweiten großen Krieg ist es gelungen, das Feindbild zu verdrängen.