1798: Berlin, eine Hochburg der Romantik
Preußens Hauptstadt Berlin wird um die Jahrhundertwende zum Zentrum der Romantik. Besonders Wilhelm Heinrichs Wackenroders „Herzergiessungen eines kunstliebenden Klosterbruders“, das 1797 erscheint, gilt, als er ein Jahr später mit 25 stirbt, als Kultbuch und als Denkmal der Empfindsamkeit. Die Tempel der Romantik sind die Salons des jüdischen Bürgertums, ihre Vestalinnen heißen Henriette Herz, Dorothea Veit, später verehelichte Schlegel und Rahel Levin, verehelichte Varnhagen von Ense. Ihren „Ersten Salon“ veranstaltet sie in ihrem Dachzimmer in der Jägerstraße:
„Ich liebe unendlich Gesellschaft. Ich habe unendlich Gegenwart und Schnelligkeit des Geistes, um aufzufassen, zu antworten, zu behandeln. Ich dulde beinah alle Menschen...“
Die ungeschriebenen Statuten des „Tugendbundes“, den Henriette Herz gründet, verpflichten zu gegenseitiger moralischer Bildung, zur Goetheverehrung und zur Beglückung durch Liebe. Die Besucher der Salons sind Beamte, Offiziere, Gelehrte und Künstler wie Alexander von Humboldt und Wilhelm von Humboldt, Friedrich von Schlegel und August Wilhelm Schlegel, die Hauptwortführer der deutschen Romantik, Wackenroder, Ludwig Tieck, Novalis und Adelbert von Chamisso, Jean Paul, aber auch Prinz Louis Ferdinand von Preußen, ein politischer Hoffnungsträger dieser Generation.
Hier treffen die jungen Schriftsteller der Frühromantik auf die Vertreter der gesellschaftsfähig gewordenen Spätaufklärung. Im Gegensatz zur Aufklärung neigen die Romantiker zum Irrationalen, zum Traum, zum Unbewussten, ja zum Dämonischen. Sie verherrlichen das Mittelalter, empfinden Entwurzelung und unstillbare Sehnsucht:
Wenn ich unverstanden bliebe, Ohne Gegenstand mein Streben,
Keine Liebe mir gegeben, Würd’ ich dennoch innig lieben.Keine Liebe mir gegeben, Würd’ ich dennoch innig lieben. (Schlegel)
Dem aufklärerischen Gelehrtenideal setzen sie die poetischen Erkenntnismöglichkeiten des genialen Künstlers entgegen, der in „produktiver Freundschaft“ seine Projekte entwickelt. Solche gemeinsamen Vorhaben realisieren Schlegel, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher und Novalis mit den Fragmentsammlungen der Zeitschrift „Athenäum“ (1798 bis 1800), sowie Achim von Arnim und Clemens von Brentano mit ihrer Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“. Die literaturgeschichtlichen Vorlesungen August Wilhelm Schlegels (1801 bis 1804) geben Anlass zur Gründung des „Nordsternbundes“. In literarischen Fehden sucht die Berliner Gesellschaft Ersatz für politische Betätigung. Man ereifert sich für oder gegen die Romantiker, für oder gegen die Klassiker. Berühmte Schriftsteller der Zeit, wie Jean Paul und Friedrich Schiller werden bei ihren Aufenthalten in der preußischen Residenz umworben.