1831 Cholera-Epidemie wütet in Preußen
August 1831: Auf einem Torfkahn, der in Charlottenburg angelegt hat, stirbt ein Schiffer an Cholera. Die mittelalterliche Seuche ist zurück und vor den Toren Berlins angekommen. Schon einen Tag nach dem Todesfall in Charlottenburg erfasst die tödliche Krankheit die preußische Hauptstadt, wobei vornehmlich die Gegend um den Schiffbauerdamm betroffen ist. Bereits jetzt, nach wenigen Tagen, ist das am Ende der Dorotheenstraße errichtete Cholera-Lazarett mit seinen 13 Betten total überfüllt.
Nahezu unvorbereitet und ohne geeignete medizinische Gegenmittel wird Preußens Hauptstadt von der Seuche in Angst und Schrecken versetzt. Die hermetische Abriegelung Berlins und der vorangegangene Versuch, mit Hilfe eines Militärkordons an der Oder die aus Indien stammende und über Russland und Polen vordringende Cholera aufzuhalten, erweisen sich als nutzlos. Die Vorschrift, dass beim Transport von Cholera-Kranken und –Leichen lautes Klingeln die Vorübergehenden warnen und zur Flucht auffordern sollte, beantworten die Berliner mit der damals aufkommenden Redensart: „Nur nich jraulich machen“ und vertrauen lieber auf Schnaps als vorbeugendes Mittel.
Anfänglich scheint es, als wollten die Berliner die furchtbare Gefahr nicht wahrnehmen: Die Theater, Feste und Gesellschaften werden wie normal weitergeführt. Nur der Königliche Hof trifft seine Vorsichtsmaßnahmen für sich selbst. So will König Friedrich Wilhelm III. eigentlich unter strengster Abschirmung im Schloss Charlottenburg verweilen, wechselt dann aber doch nach Berlin über.
Im Oktober erfüllt allerorts ein widerlicher Geruch die Stadt, verursacht durch den übermäßigen Gebrauch von Desinfektionsmitteln. Allgegenwärtig sind Sanitätspolizei und die in schwarzes Glanzleder gekleideten Kranken- und Totenträger, die beständig als Warnung die todkundende Klingel vor sich herbimmeln.
Es herrschen in Berlin, vor allem in den überfüllten Elendsquartieren vor der Stadt, dem sogenannten Voigtland, mittelalterliche hygienische Verhältnisse. Der Universitätsprofessor Friedrich Hufeland, der wie sein berühmter Bruder aus Weimar nach Berlin gekommen ist, berichtet:
„Eine Schande ist es freilich für uns Berliner Ärzte, dass, seitdem die Cholera in civilisirten Ländern, d.h. solchen herrscht, wo es eine medizinische Polizei giebt und Todtenlisten angefertigt werden, an keinem Orte, im Verhältniß zu der Zahl der Erkrankten, so viele Menschen daran gestorben sind, als hier. Deshalb behaupten auch die witzigen Berliner, die Cholera habe bei ihrem Abschied aus Berlin gesagt, sie könne unmöglich länger an einem Orte bleiben, wo sie so schlecht behandelt werde.“
Der Schriftsteller Karl Gutzkow beschreibt die Schrecken der Cholera:
„Das war wahrlich ein Gegensatz zur Idealitätsphilosophie! Die Welt des Lichtes, der Ahnung und Schönheit in unserer Brust und nun diese Cholerapräservative, diese wollenen Leibbinden, diese mit dunklem Wachstuch überzogenen Totenkörbe, ... diese Tafeln, die an die Häuser geheftet werden sollten, diese Cholerastationen in jedem Stadtviertel!“
Carl Philipp Gottfried von Clausewitz und Generalfeldmarschall Graf Neidthardt von Gneisenau haben die Krankheit von der Polenexpedition mitgebracht. Der „Idealitätsphilosoph“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel selbst flüchtet vor der Epidemie in sein Gartenhaus am damals noch ländlichen Kreuzberg. Am 27. August 1831 feiert er dort seinen 61. Geburtstag in alter, champagnerseliger Ausgelassenheit. Drei Monate später stirbt er.
Die „asiatische Hydra“, wie sie auch genannt wurde, forderte offiziellen Angaben zufolge von September 1831 bis Februar 1832 in Berlin 1.426 Tote.