Rahel Varnhagen von Ense
26.5.1771 in Berlin
7.3.1833 in Berlin
Schriftstellerin
Geboren wurde Rahel Levin am 19. Mai 1771 als älteste Tochter des wohlhabenden jüdischen Juwelenhändlers Levin Marcus. In ihrem Berliner Elternhaus war man orthodox und an nichtjüdischer Bildung und Kultur wenig interessiert. Sie lernte Deutsch – zu Hause wurde „Jargon“, also Judendeutsch gesprochen – fast wie eine Fremdsprache und befasste sich schon früh intensiv mit der Literatur und Philosophie ihrer Zeit.
Aus dem Treffpunkt für ihre Jugendfreunde im elterlichen Hause entwickelte sich schnell einer der berühmtesten Salons Berlins. In der Dachstube bei Rahel Levin in der Jägerstraße verkehrten zwischen 1790 und 1806 Persönlichkeiten wie die Brüder Humboldt, Friedrich Schlegel, Friedrich Gentz, Friedrich Schleiermacher, Prinz Louis-Ferdinand, Jean Paul, Brentano, die Brüder Wilhelm und Ludwig Tieck, Adelbert von Chamisso, Friedrich de la Motte-Fouqué etc. Sie alle genossen die freie Atmosphäre der jüdischen Salons, von denen es damals einige in der Hauptstadt gab. „Der jüdische Salon in Berlin war der soziale Raum außerhalb der Gesellschaft, und Rahels Dachstube stand noch einmal außerhalb der Konventionen und Gepflogenheiten des jüdischen Salons.“ (Hannah Arendt) Hier verkehrten Bürger und Adelige, Protestanten, Katholiken, Juden und Freidenker sowie einige Exzentriker. Dieses „idyllische Durcheinander“ gedieh nicht zufällig rund um jüdische Gesellschafterinnen, da die Juden als Außenseiter jedem Stand und jeder Konfession gleichermaßen fern bzw. nahe standen.
Neben ihrer gesellschaftlichen Position war es nicht zuletzt Rahels Geist und ihre undurchdringliche, faszinierende Ausstrahlung, die die Beliebtheit ihres Salons begründete. Diese Ausstrahlung war nicht zuletzt Ergebnis einiger unglücklichen Liebesbeziehungen. 1808 lernte sie ihren späteren Mann, den vierzehn Jahre jüngeren August Varnhagen (1785-1863) kennen. Sie heiratete ihn 1814. In der Zwischenzeit nutzte der sich weder durch Reichtum noch Herkunft auszeichnende Varnhagen die Befreiungskriege zum gesellschaftlichen Aufstieg. Schließlich wurde er geadelt und zuerst Sekretär bei der preußischen Delegation auf dem Wiener Kongress, dann Geschäftsführer seines Landes in Baden. Bereits 1819 wurde der liberal gesinnte Varnhagen im Zuge der Karlsbader Beschlüsse pensioniert, blieb aber mit seiner Frau Mitglied der Berliner Gesellschaft.
Gleichzeitig hatte sich Rahels materielle Lage immer mehr verschlechtert. Sie hatte nach dem Tode ihres Vaters 1790 von ihrer Mutter eine Pension erhalten, die jedoch erst durch die Belastungen nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon 1806 eingeschränkt, dann durch den Tod der Mutter drei Jahre später ganz wegfiel. Danach lebte sie von in ihrer Höhe schwankenden Zuwendungen ihres Bruders. So bedeutete ihre Ehe, die sie ohne Zweifel aus Liebe einging, auch eine Hebung ihrer materiellen und nicht zuletzt auch ihrer gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie sie seit ihrer Jugend erhoffte, aber nie erreicht hatte. Eine Ursache hierfür war ihre jüdische Herkunft, die ihr dauerhafte gesellschaftliche Anerkennung unmöglich gemacht hatte und die sie auch als persönlichen Makel empfand, als Fluch, der von Anfang an ohne ihre Schuld auf ihr lastete. So war es nur folgerichtig, dass sie 1810 den Namen ihres schon 1800 konvertierten Bruders annahm und sich Rahel Robert nannte. Am Tag ihrer Hochzeit trat sie dann zum Protestantismus über und hieß von da an Antonie Friederike Varnhagen von Ense.
In den 1820er Jahren entstand erneut ein Salon in ihrem Hause. Dort verkehrten unter anderem die Vertreter des Jungen Deutschland Ludwig Börne, Karl Gutzkow und Heinrich Heine. Sie starb am 7. März 1833. Ihr Nachruhm ist nicht zuletzt ihrem Ehemann zu verdanken, der ihre zahlreichen Briefe (es sind einige tausend erhalten) herausgab und einen regelrechten Kult um sie begründete.