Juli 1789 Revolution in Paris, Wohlverhalten in Berlin
In den Berliner Zeitungen des Jahres 1789 häufen sich die Berichte vom Aufbegehren der Bürger in Frankreich, von Unruhen und von Gewalt gegen die Aristokratie. Am 16.Juli 1789 liest man gar von Metzeleien:
"Jetzt griff alles zu den Waffen, die Bürger vereinigt mit den französischen Garden bestürmten gegen 4 Uhr die Bastille, die sie nach zwei Stunden, nicht ohne Blutvergiessen, eroberten. Der Gouverneur de Launay und der Untergouverneur wurden enthauptet, ihre Köpfe auf Stangen gesteckt und durch Paris nach dem Palais Royal getragen."
Der König Ludwig XVI. aber, so liest man weiter, begibt sich in die Arme der Nationalversammlung und zieht seine Truppen zurück, worauf das Volk begeistert ruft: Es lebe der König! Es lebe die Nation! Vier Jahre später wird er hingerichtet.
Muss Friedrich Wilhelm II. nun auch fürchten, dass in Berlin und Preußen die Revolution ausbricht? In Berlin kursieren illegale Flugblätter, deren Inhalt so brisant ist, dass es den Polizisten, die sie beschlagnahmen, verboten ist, diese zu lesen:
"Brave Bürger, Ihr schlaft, und die Tyrannei schwebt über euren Köpfen... und ihr müsst euren Schweiß verschwenden, um zu den Ausgaben der wollüstigen Frauenzimmer Eures Beherrschers beizutragen."
Zu Gewalt wird aufgerufen und dazu, dass das Volk sich erheben soll.
Aber das Volk erhebt sich keineswegs. Es hat sich mit den bescheidenen Fortschritten des preußischen Staates eingerichtet. Einige populäre Reformen des Königs, wie die Aufhebung des Zucker-, Tabaks- und Kaffeemonopols, aber auch die Verschärfung der Pressezensur tun ein übriges. Die Revolution in Berlin und Preußen findet nur in den Debatten an Universitäten, in Cafes und Lesezirkeln statt. Schelling, Hegel, Fichte, Hölderlin, Jean Paul, Wieland, Herder bejubeln die neuen Ideen: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Schiller, von der französischen Nationalversammlung zum Ehrenbürger der Revolution ernannt, erwägt zunächst seine Jenaer Professur niederzulegen und nach Paris überzusiedeln, wendet sich aber bald mit Grausen ab, Goethe ist ohnehin dagegen. Das prominenteste Opfer der prophylaktischen Maßnahmen des Königs ist der Ostpreuße Kant. Die Franzosen hatten ohne Erfolg versucht, den Königsberger Philosophen zur Mitarbeit am Programm der französischen Revolution zu gewinnen. Auch dem preußischen Hofe ist die Sprengkraft seines neuen Staatsethos nicht verborgen geblieben. Mehrere Artikel werden verboten, ein Lehrverbot wird angedroht. Da bietet der Philosoph selbst an, sich jeglicher Äußerungen über Religion zu enthalten. Als „Pygmäe, dem seine Haut lieb sei“, schreibt er an einen Freund, wolle er sich aus dem Streit der Großen raushalten.
Kein Preuße sieht sich veranlasst, der Aufforderung eines französischen Flugblattes: „An die Laterne mit Friedrich Wilhelm II.“ zu folgen. Viele Untertanen werden in den nächsten Jahren ihre Loyalität zum König mit dem Leben bezahlen. In den französischen Revolutionskriegen, die Preußen im Verein mit anderen europäischen Mächten führt, fallen Tausende von preußischen Soldaten und Preußen büßt alle linksrheinischen Gebiete ein. Aber das ist erst der Anfang einer französischen Flutwelle, die Preußen überrollen wird. Die Franzosen aber singen nach Friedrich Wilhelms Niederlagen:
„Friedrich packt seine Botten, er zittert in Berlin.“