22. März 1819 Demagogenverfolgung: Ein Attentat wird zum Anlass für die Verfolgung der Liberalen
Am Nachmittag des 23. März 1819 läutet in Mannheim ein junger Mann an der Haustür des Dichters und Kaiserlich Russischen Staatsrates August von Kotzebue. Der Hausherr begrüßt den Fremden, der nach einigen freundlich gewechselten Worten einen kleinen Dolch aus dem Ärmel zieht und unter dem Ruf „Du Verräter des Vaterlandes!“ dreimal zusticht. Der überrumpelte Dichter bricht zusammen, tödlich verletzt. Als dem Täter sein Fluchtweg aus dem Hause des Dichters abgeschnitten wird, versucht er sich mit einem mitgeführten Messer an Ort und Stelle das Leben zu nehmen. Der Bewusstlose wird von der Wache ins Krankenhaus gebracht, dann – nach Operation und Genesung – ins Gefängnis verlegt.
Nach der Bluttat des Burschenschaftlers Karl Ludwig Sand in Mannheim an dem Schriftsteller und politischen Konservativen August von Kotzebue geht durch Preußen und Deutschland eine Welle staatlicher Repression gegenüber allen liberalen Geist. Der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich setzt in den geheimen Karlsbader Konferenzen eine Reihe von Reaktionsmaßnahmen durch, die vom Deutschen Bund am 20. September 1819 beschlossen werden. Diese sogenannten „Karlsbader Beschlüsse“, die bis zur Revolution von 1848 in Kraft bleiben, verbieten die Burschenschaften, unterstellen die Universitäten einer ständigen polizeilichen Überwachung, führen die Zensur im gesamten Deutschen Bund ein, setzen eine „Zentraluntersuchungskommission“ in Mainz zur Ermittlung von „revolutionären Umtrieben“ ein und schaffen eine Exekutionsordnung, die es dem Bund erlaubt, militärisch in den Einzelstaaten zu intervenieren.
Mit der Errichtung des Metternichschen „Diktatursystems“ wurde der Deutsche Bund und mit ihm Preußen zu einem bevormundenden Polizeistaat.
In diesen Monaten werden alle als fortschrittlich geltenden Personen scharfen Verhören unterzogen und meist mit hohen Freiheitsstrafen belegt. Das Kammergericht in Berlin avanciert zum Staatsgerichtshof für politische Prozesse in der ganzen Monarchie.
Die liberale Phase in Preußen findet ihr Ende. Wilhelm von Humboldt wird entlassen, Polizeispitzel überwachen die Predigten des Theologen Schleiermacher und andere führende Intellektuelle, Wissenschaftler und Politiker wie der Freiherr vom Stein und der Graf Neidhardt von Gneisenau werden beschattet.
Am schärfsten geht die preußische Regierung gegen diejenigen vor, die in Veröffentlichungen, Vorlesungen und bei öffentlichen Anlässen für die nationale und liberale Bewegung eintreten. Unter den Verfolgten, die aus ihren Ämtern vertrieben und teilweise zu Gefängnisstrafen verurteilt werden, sind auch prominente Teilnehmer der Befreiungskriege, wie der Bonner Universitätsprofessor Ernst Moritz Arndt und der Vater der Turnbewegung, Friedrich Ludwig Jahn. Das Turnen wird in Preußen verboten. Auch der mecklenburgische Dichter Fritz Reuter gerät in den Sog der Demagogenverfolgung und wird 1836 in Preußen zu einer 30-jährigen Festungshaft verurteilt
Ein gutes Jahr nach seiner Tat wird Karl Ludwig Sand zum Tode verurteilt. Zeugen überliefern, dass Sand das Urteil gefasst aufgenommen haben soll, in einem Brief an seine Eltern nennt er seine Gemütsverfassung „sehnsuchtsvolle Heiterkeit“. Bis zum Schluss scheint er die Rolle des Märtyrers ausfüllen zu wollen. Beim Gang aufs Schafott zitiert der Theologiestudent laut aus Theodor Körners Bundeslied: „Alles Irdische ist vollendet, und das Himmlische geht auf!“