1727: Abdankungspläne des Soldatenkönigs
Der hallesche Pietist August Hermann Francke, Erzieher und Seelsorger Preußens, böse Zungen sprechen vom "geheimen Geheimrat" des Königs, hat eine Regierungskrise bei Hofe ausgelöst. Der Pragmatismus, das Organisationstalent, die Strenge und Askese und das Talent des Mannes zum "Plusmachen" imponieren dem König:
"Bei dem Mann ist Gottes Segen, er kann mit zwei Talern mehr ausrichten als ich mit zehn. Diesen Winter werde ich ihn lassen herkommen. Er kann mir die Soldatenkinderschulen allhier einrichten."
Gesagt, getan, Francke weilt im Winter 1727 als Berater des Königs am Berliner Hof. Der Bekehrungsfanatismus des Pietisten macht auch vor Friedrich Wilhelm I.nicht halt. Der Soldatenkönig verfällt in tiefe Melancholie, verbringt die Tage mit Beten und Psalmensingen, findet keinen Schlaf und streift nachts ruhelos durchs Schloss. Wilhelmine, seine älteste Tochter, berichtet:
"Die Hypochondrie, von welcher der König sehr geplagt war, verfinsterte sein Gemüt. Herr Francke, ein berühmter Pietist und Begründer des Waisenhauses in der Universitätsstadt Halle, trug nicht wenig dazu bei, den König in dieser Stimmung zu erhalten. Dieser geistliche Herr liebte es, Skrupel über die unschuldigsten Dinge in ihm wachzurufen. Er verpönte alle Vergnügungen, die ihm verwerflich schienen, selbst die Jagd und die Musik. Man durfte vor ihm nur von Gottes Wort reden; alle anderen Reden waren unstatthaft. Immer gab er bei Tische, wo er wie im Refektorium das Amt des Vorlesers vertrat, den Vorsprecher ab. Der König hielt uns jeden Nachmittag eine Predigt; sein Kammerdiener stimmte einen Choral an, in den wir alle einstimmten; der Predigt mußten wir mit ebenso großer Aufmerksamkeit lauschen, als hielte sie ein Apostel. Meinen Bruder und mich überkam der Lachreiz, und oft platzten wir los. ... Ja, diese übertriebene Bigotterie brachte den König auf noch seltsamere Gedanken. Er beschloß, zugunsten meines Bruders abzudanken. Er wollte sich jährlich 10.000 Taler vorbehalten und sich mit der Königin und seinen Töchtern nach Wusterhausen zurückziehen. Er fing sogar an, Instruktionen für meinen Bruder auszuarbeiten, worüber Grumbkow und Seckendorff nicht wenig erschraken. Sie boten vergebens alle ihre Beredsamkeit auf, um diese unheilvollen Gedanken zu verscheuchen; da sie aber einsahen, daß der ganze Entschluß des Königs nur auf seine Gemütsverfassung zurückzuführen sei ... suchten sie ihn zu zerstreuen."
Tatsächlich gelingt es den Ministern, den König zu einer Reise an den sinnenfrohen Hof August des Starken zu überreden. Die dortigen Ablenkungen verhindern die Vollendung der Regierungskrise und bescheren dem Kronprinzen Friedrich seine erste sexuelle Erfahrung – behauptet jedenfalls seine große Schwester Wilhelmine. Etwas muss dran gewesen sein, denn August der Starke bestellt für den Dresdener Hof beim Berliner Hofmaler zwei Bildnisse, eins vom Kronprinzen Friedrich und eins von seiner Dresdener Flamme, der Gräfin Orczelska, einer Tochter von August dem Starken und der französischen Weinwirtin Henriette Renard in Warschau.