21. März 1768: Lessings Erfolgsstück Minna von Barnhelm wird in Preußen abgesetzt
Gotthold Ephraim Lessing, der sich seit 1747 in Preußen aufhält, versucht hier vergeblich eine Bibliothekarsstelle zu bekommen. Der König hält nichts von deutscher Literatur und deutschen Literaten. Lessing übernimmt die Stelle eines Sekretärs des preußischen Generals Bogislaw Friedrich von Tauentzien, Kommandeur von Breslau. Aus dieser Perspektive erlebt der Dramatiker den Siebenjährigen Krieg.
Lessing, der in der deutschen Literatur schon einen Namen hat, verarbeitet seine Eindrücke in dem Gegenwartsstück “Minna von Barnhelm“. Ein durch und durch preußisches Sujet. Die Heldin, eine Adlige aus dem durch preußische Eroberungen geplagten Sachsen, der Held, ein Veteran des Siebenjährigen Krieges, Schauplatz ist ein Berliner Gasthaus, Hintergrundfigur Friedrich II. Lessings Freund und Verleger Nicolai, der mit dem König gut steht, macht sich zurecht Sorgen wegen der Aktualität des Stückes. Er schreibt in einem Brief:
Die Idee ist gut und sonderbar. Inzwischen kommen viele Stiche auf die Preußische Regierung etc. darin vor, die ich als ein Preußischer Unterthan wohl wegwünschen möchte. er hat dies freilich nur hineingesetzt, um sein Lustspiel local zu machen, ich befürchte aber doch daß sich mancher daran stoßen wird.
In der Tat hat der abgedankte Offizier im Stück provokative Passagen:
Die Dienste der Großen sind gefährlich, und lohnen der Mühe, des Zwanges der Erniedrigung nicht, die sie kosten. Minna ist keine von den Eiteln, die in ihren Männern nichts als den Titel und die Ehrenstellen lieben. Sie wird mich um mich selbst lieben; und ich werde um sie die ganze Welt vergessen. Ich ward Soldat aus Parteilichkeit, ich weiß selbst nicht für welche politischen Grundsätze, und aus der Grille, daß es für jeden ehrlichen Mann gut sei, sich in diesem Stande eine Zeitlang zu versuchen, um sich mit allem, was Gefahr heißt, vertraulich zu machen, und Kälte und Entschlossenheit zu lernen. Nur die äußerste Not hätte mich zwingen können, aus diesem Versuche eine Bestimmung, aus dieser Beschäftigung ein Handwerk zu machen.
Das Stück läuft in Hamburg und schließlich nach einigen nicht näher überlieferten Schwierigkeiten mit der Zensur am 21.März 1768 in Berlin. Ein Bombenerfolg. Theaterdirektor Döbbelin ist aus dem Häuschen, immer wieder völlig ausverkaufte Vorstellungen, immer wieder der Ruf des Publikums nach Fortsetzung. Bis Angehörige der königlichen Familie das Theater besuchen. Zur neunzehnten Vorstellung erscheinen Bruder Heinrich, Schwester Philipine und Markgraf Heinrich, natürlich ohne den König. Die Zuschauer wagen nicht, wie sonst, Bravo!! da capo!! Minna! zu rufen. Auch Theaterbesucher sind gute preußische Untertanen. Das Stück wird abgesetzt, wegen mangelnder Nachfrage.
Schon vor der “Minna“ hatte Lessing an Nicolai geschrieben:
Lassen Sie einen in Berlin auftreten, der für die Rechte der Untertanen und gegen die Aussaugung und den Despotismus seine Stimme erheben wollte, wie es jetzt sogar in Frankreich und Dänemark geschieht, und Sie werden bald die Erfahrung haben, welches Land bis auf den heutigen Tag das sklavischste Land von Europa ist...
Und nach dem Stück abgesetzt wurde, schreibt er an einen Freund:
Sie sind krank gewesen? Aber wie kann man in Berlin gesund sein? Alles, was man da sieht, muß einem ja die Galle ins Geblüt jagen.
Und so verpasst der “aufgeklärte“ Despot, der nur französische Literatur gelten lässt und in französisch eine ebenso arrogante, wie ignorante und inkompetente Kritik der deutschen Literatur schreibt, eines der wichtigsten deutsche Stücke des 18.Jahrhunderts, das erste deutsche bürgerliche Lustspiel. Lessing aber geht nach Wolfenbüttel zum Herzog August von Braunschweig als Bibliothekar. In dessen kleinem Herzogtum schätzt man deutsches Theater.