Polenbegeisterung
Meint eine von 1830 bis zum Sommer 1848 anhaltende politische Haltung eines Teils der preußischen Gesellschaft, die für die Aufhebung der polnischen Teilung und die Schaffung eines polnischen Nationalstaats eintrat. Die Diskussion entzündete sich an der Provinz Posen, die 1815 an Preußen gefallen war. In dem Großherzogtum lebten etwa 60% Polen (Katholiken), 34% Deutsche (meist Protestanten) und 6% Juden, die überwiegend in der Stadt lebten. Die Deutschen hatten regional eine relative Mehrheit in den vier westlichen Kreisen des Posener und in den vier nördlichen des Bromberger Regierungsbezirks. Die zentralen und an der Ostgrenze gelegenen Kreise dagegen bewohnten wenige Deutsche. Wirtschaftlich waren die Deutschen, die in den nichtagrarischen Berufen dominierten, in der Regel besser gestellt als die Polen. Unter deutschen Bauern gab es kaum Besitzlose, die meisten waren reiche oder mittlere Bauern. Der polnische Novemberaufstand von 1830 gegen Rußland erfaßte Posen nicht. Dennoch betrieb Preußen fortan eine antipolnische Unterdrückungspolitik. Unter Friedrich Wilhelm IV. (seit 1840) wurde sie gemildert. Den für 1846 geplanten Aufstand verhinderte Preußen durch Verhaftungen und Verhängung des Kriegszustandes. Die Unzufriedenheit der Polen verschärfte sich durch Verurteilungen von Aufständischen, Zensur und Auflösung von Klubs und Kasinos. Hinzu kam die Mißernte von 1846, die vor der Erntezeit des Jahres 1847 Hungerrevolten verursachte, bei denen sich nationale Probleme mit sozialen Spannungen mischten. Im März 1848 hielten deutsche und polnische Revolutionäre die Verwirklichung des deutschen Nationalstaats noch für vereinbar mit der Schaffung eines polnischen Nationalstaats. In Berlin schwenkte der polnische Revolutionär Ludwig Mieroslawski die schwarz-rot-goldene Fahne und rief: »Nicht du, edles deutsches Volk, hast meinem unglücklichen Vaterlande Fesseln geschmiedet; deine Fürsten haben es getan; sie haben mit der Teilung Polens ewige Schmach auf sich geladen.“ Das hörten der preußische König und seine konservativen Anhänger nicht so gern. Vorparlament und Nationalversammlung in Frankfurt bekannten sich zu beiden Zielen, der Schaffung eines deutschen sowohl wie eines polnischen Nationalstaates. Auf Antrag von Gustav Struve aus Mannheim beschloß das Vorparlament in Frankfurt am 31. März 1848 fast einhellig, "daß es die heilige Pflicht des deutschen Volkes sei, Polen wiederherzustellen, indem die Teilung Polens als ein schreiendes Unrecht erklärt werde“. Den Formelkompromiß von der »National-Reorganisation«, den König Friedrich Wilhelm IV. am 24. März genehmigt hatte, verstanden polnische Patrioten wie Mieroslawski als Zusage zur Bildung eines unabhängigen Großherzogtums „unter dem bloßen Schutze Preußens“. Doch schon im April wurde deutlich, daß sich die zugesagte nationale Reorganisation auf den „polnischen“ Anteil der Provinz beschränkte, der in der Folgezeit immer wieder verkleinert wurde, indem man ihn immer weiter nach Osten verschob, bis am Ende nur noch für wenige Landkreise im Raum Gnesen Autonomie für die Polen versprochen wurde. Die Polendebatte der Deutschen Nationalversammlung vom 24. bis 27. Juli 1848 zeigt, daß nur noch eine Minderheit, zu denen Linke wie Robert Blum und Arnold Ruge gehörten, für die Rechte der Polen auf einen eigenen Staat eintrat, während die Mehrheit Posen für den deutschen Nationalstaat beanspruchte, nachdem die deutsche Minderheit in Posen ihre Zugehörigkeit zu Deutschland gefordert hatte und im April und Mai 1848 weitere polnische Aufstände, bei denen die Truppen unter Mieroslawski fast nur mit Sensen bewaffnet waren und gegen die preußische Übermacht keine Chance hatten, militärisch unterdrückt worden war. Der Abgeordnete Wilhelm Jordan sagte in der Nationalversammlung unter viel Beifall von rechts: „Polen bloß deswegen herstellen zu wollen, weil sein Untergang uns mit gerechter Trauer erfüllt, das nenne ich eine schwachsinnige Sentimentalität. Unser Recht ist kein anderes als das Recht des Stärkeren, das Recht der Eroberung.“ Daraufhin stimmte die Mehrheit der Nationalversammlung für die Einverleibung Posens (bis auf den kleinen für polnische Autonomie vorgesehenen Bezirk im Raum Gnesen) und das Objekt der „Polenbegeisterung“ war verschwunden.