März 1880 Antisemiten organisieren sich
Eigentlich ist die formale Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung in Preußen und Deutschland in der Reichsverfassung von 1871 gesetzlich verankert. Doch gegen die Assimilation der Juden wendet sich eine antisemitische Propaganda, die sich nicht nur religiös, sondern auch rassisch versteht: Der Antisemitismus beginnt sich in Preußen-Deutschland politisch zu organisieren.
Der Politiker Wilhelm Marr gründet die Antisemitenliga. Vor allem in Berlin findet diese „Dachorganisation“ des anti-jüdischen Ressentiments sofort viele Mitglieder. Marr prägt überhaupt erst den Begriff „Antisemitismus“. Seine Hetzschrift „Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum“ erscheint, bis zum Herbst des Jahres erreicht sie bereits ihre zwölfte Auflage.
Die politische Hauptthese Marrs ist bereits im Titel seines Pamphlets enthalten, die Herrschaft des Judentums sei bereits errichtet, die Juden hätten Deutschland erobert und zwar mit Hilfe der deutschen Bevölkerung selbst:
"Ihr wählt die Fremdherrschaften in Euro Parlamente, Ihr macht sie zu Gesetzgebern und Richtern, Ihr macht sie zu Diktatoren der Staatsfinanzsysteme, Ihr habt Ihnen die Presse überantwortet, ... was wollt Ihr denn eigentlich! Das jüdische Volk wuchert mit seinen Talenten und Ihr seid geschlagen, wie das ganz in der Ordnung ist und wie Ihr es tausendfach verdient habt."
Marr unternimmt mit seiner Antisemitenliga den Versuch, den in den verschiedenen politischen Lagern unterschwellig bis offen anzutreffenden Antisemitismus heraus zu kristallisieren
"um die Judenfrage endlich einmal aus dem Nebel der Abstraktionen und dem Streite der Parteieinseitigkeiten herauszubringen".
Die Feindschaft gegenüber den im preußisch-deutschen Reich lebenden Juden hat besonders seit der offiziellen Gleichstellung der Juden durch die neue Reichsverfassung von 1871 zugenommen. So gehört es zum Alltag im öffentlichen Meinungsstreit, die Juden, die eigentlich nur 1,7% der preußischen Bevölkerung ausmachen, für die Wirtschaftsdepression nach 1873 verantwortlich zu machen.