Karte 1866
Papst Pius IX. Mieczyslaw Ledóchowski Otto Eduard Leopold von Bismarck Wilhelm I. von Preußen

10. Dezember 1871    Der Kulturkampf auf dem Höhepunkt

„...Ein Geistlicher..., welcher in Ausübung oder in Veranlassung der Ausübung seines Berufes öffentlich vor einer Menschenmenge, oder welcher in einer Kirche oder an einem andern zu religiösen Versammlungen bestimmten Orte vor Mehreren Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise zum Gegenstande einer Verkündigung oder Erörterung macht, wird mit Gefängnis oder Festungshaft bis zu zwei Jahren bestraft...“

Nur wenige Monate nach der Kaiserkrönung fasst der Reichstag einen folgenschweren Beschluss. Der “Kanzelparagraph“ verbietet es den Geistlichen, in ihren Predigten Stellung gegen die Politik der Regierung zu beziehen: Preußen befindet sich mitten im “Kulturkampf“.

Der vom Pietismus beeinflusste Reichskanzler Otto von Bismarck empfindet den politischen Katholizismus als Bedrohung für die preußisch-protestantische Monarchie. Die Verkündung des Infallibilitätsdogmas durch Papst Pius IX. in Glaubensfragen für unfehlbar erklärt, wird auch von den Liberalen als unerhörte Provokation und eine Art Kriegserklärung gegen den modernen Nationalstaat verstanden. Zwischen der katholischen Kirche und den liberal ausgerichteten Regierungen im deutschen Reich kommt es zu jahrelangen Auseinandersetzungen.

Sie finden ihre dramatische Zuspitzung, als Preußen per Gesetz den Kirchen (auch den protestantischen) das Recht zur Schulaufsicht entzieht. Alle Schulen werden nun einer staatlichen Inspektion unterstellt. Diese Maßnahme führt zum Bruch Bismarcks mit den preußischen Altkonservativen, die sich der protestantischen Kirche verbunden fühlen.

Die Maigesetze von 1873, die Kirchen gesetzlich verpflichten, den Behörden Amtsbesetzungen zu melden, verschärfen den Konflikt zwischen den Kirchen und der preußischen Regierung noch weiter. Auf den passiven Widerstand vieler Geistlicher und die Proteste in der katholischen Bevölkerung reagieren die preußischen Behörden mit Amtsenthebungen, Verhaftungen und Ausweisungen. Pfarrer und sogar Bischöfe werden eingesperrt oder des Landes verwiesen. Der populäre Erzbischof von Gnesen-Posen, Graf Mieczyslaw Halka Ledochowski, wird sogar für zwei Jahre in Haft genommen. In vielen Gemeinden können bald Geburten, Todesfälle und Heiraten nicht mehr beurkundet werden, weil die Pfarrer verhaftet oder ausgewiesen sind. Preußen erlässt in dieser angespannten Situation ein Gesetz über die obligatorische Zivilehe, richtet staatliche Standesämter ein und sperrt der katholischen Kirche die staatlichen Zuschüsse. Die Kirche verliert damit wesentliche Aufgaben. Jedoch auch alle weiteren Interventionen gegen den politischen Katholizismus - von der Schließung der katholischen Abteilung im preußischen Kultusministerium bis hin zum Verbot der geistlichen Orden - stärken jedoch den Zusammenhalt der katholischen Bevölkerung mit ihren geistlichen und weltlichen Vertretern. Der "Kulturkampf" führt zu einer eindeutigen Niederlage Bismarcks. Mit "Milderungsgesetzen" und später folgenden "Friedensgesetzen" wird der "Kulturkampf" ab 1880 zwar auch formell eingestellt, aber Regelungen wie die staatliche Schulaufsicht und die Zivilehe haben weiter Bestand; der "Kanzelparagraph" wird erst 1953 vom Deutschen Bundestag aufgehoben.

Kulturkampf

Jung-Deutschland

Allen theilnehmenden Freunden und Feinden die Anzeige, daß unsere Stiefmutter Herrenhaus nach langen Mühen glücklich von dem Kirchengesetz entbunden ist

Papst Pius IX.