1904: Kaufhausboom in Berlin
Die Entdeckung des Konsums: in Berlin entsteht ein Warenhaus nach dem anderen,
Im Kaufhaus, so befand Maximilian Harden schon 1894, begegnen sich „Wildnis und Weltstadt“. Nichts zieht die (eigentlich kleinstädtischen) Kaufhausunternehmer so an wie die großstädtischen Bevölkerungsmassen. Hermann Tietz kommt aus Gera, Georg Wertheim aus Stralsund und Rudolph Karstadt aus Wismar. Alle gehen nach Berlin, denn keine andere Stadt eignet sich zur Jahrhundertwende für die soeben entdeckte Konsumlust besser als die Millionenmetropole, die Hauptstadt des Kaiserreiches. Seit den Gründerjahren will sie alles aufholen, was sie bisher gegenüber anderen Residenz- und Hauptstädten an Ruhm und Boden verloren hatte. Genügend Reichtum und Wohlstand sind inzwischen akkumuliert, eine ausreichende Käuferschicht ist entstanden, die bereit ist, dem neuen Götzen Konsum ihr Geld zu opfern. „Tietz“ zum Beispiel, dem riesigen Warenhaus an der Leipziger Straße, oder „Wertheim“, das gleich in der Nachbarschaft Menschenmassen anlockt.
1904 ist das Jahr der Kaufhäuser. Wertheim hat gerade seinen Konsumpalast im Großen und Ganzen fertig. Der Architekt Alfred Messel hat dafür eine vertikal gegliederte Fassade aus Glas mit massiven Pfeilern entworfen. Innen gibt es ein Palmenhaus mit Grotten und Wasserfällen, einen riesigen Saal, verkleidet mit Platten aus Onyx, Wandgemälde und Skulpturen - und unglaublich viele Waren: von Antiquitäten und Büchern über Kleider und Parfum bis hin zu Reisen und Teppichen. Das Kaufhaus macht das Selbstbedienungsrestaurant und das Emaillegeschirr populär, Massenprodukte wie Konserven und Konfektionsartikel von der Stange finden erste Verbreitung. Die neuen Kathedralen des Konsums werden zu einer „Akademie der modernen Lebenskultur“. Ihre monumentale Architektur, ihre gleißende Lichtreklame und ihre Schaufenster beteiligen sich an der neuen Inszenierung „Weltstadt Berlin“.
Ein Wettlauf von Kaufhauseröffnungen beginnt: Nicht durch mehr Prunk will Tietz die Pracht Wertheims übertrumpfen, sondern mit mehr proletarischem Flair - und beginnt auf dem Alexanderplatz ein neues Haus zu bauen, das schon im Oktober 1905 eröffnet wird. Statt teurer Klaviere wie Wertheim bietet Tietz dort Grammophone im Discount feil, statt Kaviar frischen Hering. Kohlkopfhalden, Mauern von Salatkisten und Alleen mit rosigen Schweinehälften. Neumodisches und hilfreiches wie die ersten Elektrostaubsauger avancieren bei Tietz zum Kassenschlager.
Doch nicht lange führt Tietz den Wettstreit der Kaufhäuser an. Schon rüstet ein weiterer Konkurrent, um noch größer, schöner und verführerischer den Markt zu erobern. Adolf Jandorf , ein erfahrener Warenhäusler, will den noch „wilden Westen“ Berlins erobern, dieses Viertel „janz weit draußen“ jenseits des Brandenburger Tores, den heutigen Bezirk Charlottenburg.
Das „ Kaufhaus des Westens“, kurz KaDeWe genannt, soll alles übertreffen und alle befriedigen: den Mittelstand und seine Kaufkraft, aber auch „die verwöhnten Ansprüche der oberen Zehntausend, der obersten Eintausend, der allerobersten Fünfhundert“, wie das Wochenblatt „Der Roland von Berlin“ nach der Eröffnung zu berichten weiß.