15. Juni 1880: Der Anhalter Bahnhof und andere Berliner Bahnhöfe beeindrucken als Statussymbole des Deutschen Reiches
Am 15. Juni 1880 wird das von dem Architekten Franz Schwechten entworfene neue Gebäude des Anhalter Bahnhofs in Berlin nach sechsjähriger Bauzeit in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm I. seiner Bestimmung übergeben.
Das „Wochenblatt für Architekten und Ingenieure“ schreibt in seiner neuesten Ausgabe euphorisch:
„Am 15. Juni wurde der Anhalter Bahnhof dem Betriebe übergeben, dessen grossartiges Empfangsgebäude schon seit langer Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit in ungewöhnlich hohem Grade auf sich gezogen hat. In der Reihe der umfangreichen Anlagen, mit denen an Stelle alter barackenähnlicher Gebäudecomplexe die grossen Verkehrslinien in dem letzten Jahrzehnt die Hauptstadt des Deutschen Reiches geschmückt haben, ist der Anhalter Bahnhof der jüngste, gleichzeitig aber auch an Monumentalität ganz unbestritten der Erste.... Die Lösung ist unstreitig eine gelungene zu nennen, und die Halle darf nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Schönheit wegen einen hervorragenden Rang beanspruchen. Von allen Seiten hat das Licht ungehinderten Zutritt und durchflutet den majestätischen Raum, dessen endlos grosse Flächen der Architekt durch geschickte Gliederung in wirkungsvoller Weise getheilt und belebt hat. Die Einfahrt öffnet sich in drei riesigen portalartigen Bögen, deren kräftige Umrahmung und deren trotzig-mächtige Zwischenpfeiler der Stirnwand einen architektonischen Charakter zu geben vermocht haben. Ihr gegenüber, an der Stadtseite, ist die Fläche gallerieartig in grosse Oeffnungen gelöst, deren schlanke Stützen sehr glücklich den Eindruck der Leichtigkeit weiter führen, den das kühngeschwungene Hallendach in dem Beschauer hervorruft.“
Die gesamte Anlage des Kopfbahnhofes erstreckt sich vom Askanischen Platz über etwa 5 km in Richtung Süden. Die 34 m hohe und 60 m breite Empfangshalle ist die größte der Welt.
In der Halle befinden sich sechs Bahnsteig- und zwei Zwischengleise. Die östliche Seite ist für ankommende, die westlich für abfahrende Züge des Fernverkehrs bestimmt. Sonder- und Vorortzüge benutzen die Zwischengleise.
Während der technikbegeisterte Kaiser Wilhelm I. von dem Bauwerk beeindruckt ist, bemerkt der sonst so politisch weitsichtige Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck bei der Eröffnung:
„Diese Eisenbahnen, sie hemmen nur den Verkehr!“...
1880 verfügt Berlin nun schon über insgesamt neun Fernbahnhöfe.