Oktober 1908 In Preußen dürfen endlich auch Frauen studieren
Nicht nur „das Gefühl“, nein, vielmehr „auch der Verstand“ soll fortan bei Frauen befördert werden, kündigt der preußische Kultusminister Konrad von Studt am 15. März 1907 an. Deshalb sollen Mädchen künftig auch in Mathematik statt nur in Rechnen unterrichtet und verstärkt mit der Grammatik vertraut gemacht werden. Eilfertig beruhigt der Minister eventuell besorgte konservative Gemüter:
„Die intellektuelle Bildung soll in keiner Weise dazu führen, dass der große Schatz, den unser deutsches Volk in der Herzensreinheit und Gemütstiefe deutscher Frauen und Mädchen allezeit hochgehalten hat, irgendwie noch eine Beeinträchtigung erfahre.“
Nach widerstreitenden Debatten im preußischen Landtag werden schließlich 1908 die „Allgemeinen Bestimmungen über die Höheren Mädchenschulen und die weiterführenden Bildungsanstalten für die weibliche Jugend“ verabschiedet, nach zeitgenössischen Maßstäben eine Bildungsreform mit sensationellem Inhalt, für die die deutsche Frauenbewegung jahrzehntelang gestritten hatte. Endlich sind die Mädchenschulen den männlichen Anstalten im Prinzip gleichgestellt. So berechtigt nun auch das „weibliche“ Abitur zum Studium. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts wollen immer mehr Frauen nicht mehr bloß Mutter oder Magd sein, sondern gleichberechtigt am geistig-kulturellen Leben teilhaben. Die Männerwelt reagiert auf dieses Ansinnen überwiegend mit Spott und Verachtung.
Doch mit zunehmender Stärke der Frauenbildungsbewegung wich das Lachen der Angst vor der drohenden Konkurrenz. In den Jahren um 1900 erschienen zahlreiche „wissenschaftliche“ Traktate, in denen die Unfähigkeit der Frau zum rationalen Denken und das drohende Absinken des deutschen Kulturniveaus an die Wand gemalt wurden.
Dem Gymnasium vergleichbare höhere Schulen für Mädchen existierten bis dahin in Preußen nicht. In jeder größeren Stadt gab es zwar eine staatliche oder wenigstens private „Höhere Töchterschule“, doch das waren Bildungseinrichtungen für Töchter aus besseren Kreisen, in denen diese bis zum 15. Lebensjahr meist nicht einmal den Unterrichtsstoff einer Realschule für Jungen vermittelt bekamen. Erst 1908, in dem Augenblick, als auch in Preußen Frauen zum regulären Studium an den Universitäten zugelassen werden, entstand für das Kultusministerium die Notwendigkeit, die schulische Vorbildung zu verbessern. So konnten von 1908 an junge Mädchen nach der 10klassigen „Höheren Töchter- oder Mädchenschule“ unter drei weiterführenden Anstalten wählen: einer ein- oder zweijährigen Haushaltsschule, einem höheren Lehrerinnenseminar (= Oberlyzeum) und einer Studienanstalt, die unmittelbar auf ein Universitätsstudium vorbereitete. Natürlich existierte ein solch reiches Bildungsangebot nur in großen Städten.
Die männliche Studenten- und Professorenschaft reagiert auf die Anwesenheit der neuen Weiblichkeit nicht unbedingt erfreut. Große Teile der autoritär-patriachalischen preußischen Gesellschaft empfindet das nun legitimierte Selbstbewusstsein der Frauenwelt eher als eine Zumutung.
Im folgendem Studentenlied verfügt der männliche Verfasser jedoch über genügend Selbstironie und hat in den vier ersten Strophen witzige Beschreibungen für die veränderten Zeiten gefunden:
O junge Mädchenherrlichkeit
O junge Mädchenherrlichkeit
Welch neue Schwulitäten!
Bezieht ihr alle weit und breit
Die Universitäten!
Vergebens spähe ich umher,
Ich finde keine Hausfrau mehr!
Die Nähmaschin' bedeckt der Staub;
Es sank der Herd in Trümmer;
Der Kessel ward des Rostes Raub,
Verblichen ist sein Schimmer.
Die Wäsche gibt man aus dem Haus
Und beizt mit Chlor die Flecken aus.
Wo sind sie, die beim Kaffeekranz
Nicht wankten und nicht rückten,
Die ohn' Latein bei Scherz und Tanz
Die Herr'n der Erd' entzückten?
Jetzt komm'n sie ihnen ins Geheg
Und wandern früh in das Kolleg.
Da forscht mit glüh'ndem Angesicht
Die ein' in Quellenschriften,
Die andre Frauenrecht verficht,
Und die hantiert mit Giften.
Sie alle hat der Wissensdrang
Hinaus gelockt aus altem Zwang. ...)Hinaus gelockt aus altem Zwang. ...)