Georg Leo Graf von Caprivi
24.2.1831 in Charlottenburg
6.2.1899 in Skyren a.d. Oder
20.3.1890 bis 23.3.1892 Reichskanzler
Caprivi wurde 1870 Oberstleutnant und Chef des Generalstabs des X. Armeekorps, ein Jahr später Abteilungsleiter im Kriegsministerium. Als Kommandeur war er in verschiedenen Festungen tätig, bis ihm 1883 die Leitung der Admiralität übertragen wurde. Die Ernennung zum Kommandierenden General 1988 stellte die letzte Stationen seiner militärischen Karriere dar, zwei Jahre später wechselte er in die Politik, 1890 erfolgte seine Ernennung zum Reichskanzler, preußischen Außenminister und (bis 1892) preußischen Ministerpräsidenten. Er löste somit Bismarck ab, der Caprivi selbst als seinen Nachfolger vorgeschlagen hatte. Insbesondere die Außenpolitik des neuen Kanzlers war nach dem Urteil zeitgenössischer Kritiker durch einen Zickzackkurs und „Versöhnlertum“ geprägt. Eine seiner ersten – und auch umstrittensten – Entscheidungen im neuen Amt war es, unter dem bestimmenden Einfluss Kaiser Wilhelms II. den von Bismarck drei Jahre zuvor mit Russland geschlossenen und 1890 auslaufenden Rückversicherungsvertrag, der beide Mächte zu „wohlwollender Neutralität“ verpflichtete, nicht zu verlängern. Um Konflikte zu vermeiden, beendete Caprivi jedoch gleichzeitig den Handelskrieg mit Russland, konnte aber nicht verhindern, dass der Zar mit Frankreich eine Militärkonvention über einen „Zweiverband“ aushandelte. Das von Bismarck als verfrüht betrachtete Abkommen mit England von 1890 sollte ebenfalls die Möglichkeit von Komplikationen aus dem Wege räumen. Im Austausch mit Helgoland verzichtete Deutschland auf Sansibar und legte eine endgültige beiderseitige Grenzregelung in Afrika fest. Dies bedeutete u.a., dass den Deutschen in ihrer Kolonie Südwestafrika ein 450 Kilometer langes und nur 50 Kilometer breites Gebiet nördlich der Kalahari zugestanden wurde, welches ihnen den Zugang zum Sambesi ermöglichte und damit einen zusätzlichen Handelsweg erschloss. Diese Gebietsstreifen im heutigen Namibia wurde dem Kanzler zu Ehren Caprivi-Zipfel genannt.
Innenpolitisch bemühte sich Caprivi um eine Zusammenarbeit aller Parteien, besonders war ihm an einem Auskommen mit der Sozialdemokratie gelegen, weshalb er auf das Sozialistengesetz verzichtete. Im Anschluss an die Auflösung des Reichstages 1893 setzte er eine Verstärkung des Heeres durch. Seine liberale Handelspolitik war begleitet von Verträgen mit Belgien, Italien und Österreich. Aufgrund seines Eintretens für die Senkung von Einfuhrzöllen trug Caprivi sich die erbitterte Feindschaft der vor allem im Bund der Landwirte organisierten Großgrundbesitzer ein. Die Auseinandersetzung mit der Mehrheit des Reichstages und mit seinem Nachfolger als preußischen Ministerpräsidenten, dem konservativen Grafen Botho Eulenburg, um die sogenannte "Umsturzvorlage" (Gesetzesentwurf zur Strafverschärfung bei politischen Delikten) gab den Anlass für seine Entlassung 1894. Tieferer Grund für seinen Sturz war möglicherweise die Antipathie, die Wilhelm II. gegen Caprivi hegte: er hatte, wie er sagte, „die ewigen Kämpfe“ mit der „Schroffheit“ und dem „Starrsinn“ des „alten General-Kanzlers“ satt, der ihm „bei jeder Gelegenheit den Stuhl vor die Türe stellte“.