Wilhelm Marx
15.1.1863 in Köln
5.8.1946 in Bonn
Zentrum
30.11.1923 bis 15.12.1924 Reichskanzler
Der spätere Reichskanzler wurde am 15. Januar 1863 als Sohn eines katholischen Schulrektors in Köln geboren. Nach dem Abitur in Köln studierte er 1881-1884 Rechtswissenschaften in Bonn und trat nach der anschließenden Referandariatszeit und dem Ablegen des 2. Staatsexamens 1888 in den preußischen Staatsdienst ein. Er wurde 1894 Landrichter in Elberfeld, 1904 Landgerichtsrat in Köln, 1907 Oberlandesgerichtsrat in Düsseldorf und im Januar 1921 Landgerichtspräsident in Limburg/Lahn. Am 27. September 1921 wurde er Senatspräsident ohne Dienstverpflichtung am Kammergericht Berlin, nachdem er am selben Tag im Reichstag zum Vorsitzenden der Fraktion der katholischen Zentrumspartei gewählt worden war. Zwar fiel der von Reichskanzler Otto von Bismarck 1871-1878 geführte Kulturkampf gegen die Katholiken, der überhaupt erst die Gründung der Zentrumspartei veranlasst hatte, in die Kindheits- und Jugendzeit von Wilhelm Marx, doch kann man vielleicht in der frühen Erfahrung der Zurücksetzung des katholischen Drittels der Reichsbevölkerung die Motive für sein politisches Engagement sehen. Eine Verbesserung der Stellung der Katholiken versprach er sich vor allem durch eine soziale, kulturelle und pädagogische Vorbildfunktion, die allmählich ihr Ansehen und damit verbunden die Akzeptanz bei ihren Gegnern steigern sollte. Diese Ansicht entsprach dem Parteiprogramm des Zentrums, das die Weimarer Verfassung unterstützte und auf Demokratisierung setzte, als deren Voraussetzung wiederum sie Erziehung und Bildung ansahen. Wilhelm Marx besonderes Interesse galt der Arbeit im Bereich von Schule und Jugend. Das Reichsgesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 hat er nicht nur in der gleichnamigen Schrift kommentiert, sondern war an seinem Zustandekommen maßgeblich beteiligt. Man kann nicht sagen, dass Wilhelm Marx bereits als junger Mann politisch aktiv gewesen wäre. Sein Beitritt zum Zentrum fällt in seine Zeit als Richter in Elberfeld, da war er bereits über 40 Jahre alt. 1899 bis 1904 stand er dort dem Ortsverband vor und war innerhalb dieser Zeit (1900-1902) auch Vorsitzender des Windthorstbundes, der Jugendorganisation des Zentrums. Vorsitzender des Düsseldorfer Ortsverbandes wurde er 1907, war aber schon im Jahr zuvor auf regionaler Ebene zum stellvertretenden Vorsitzenden der Rheinischen Zentrumspartei gewählt worden und hielt beide Ämter bis 1919 inne. Zu seiner regen politischen Tätigkeit, die er nach seinem Start entfaltete, gehört auch die 1911 von ihm gegründete überparteiliche “Katholische Schulorganisation“, deren Vorsitz er bis 1933 führte; außerdem war er 1919/20 Generaldirektor und von 1921 bis 1933 Vorsitzender des von dem Kölner Rechtanwalt und Abgeordneten Karl Trimborn 1890 gegründeten “Volksvereins für das katholische Deutschland“ und Präsident von zwei Katholikentagen (Augsburg 1910, Freiburg 1929).
Seine parlamentarische Karriere begann Wilhelm Marx 1899 als Mitglied im preußischen Abgeordnetenhaus, dem er (einschließlich der Verfassungsgebenden Preußischen Landesversammlung 1919/1920) bis 1921 angehörte. Ein Zwischenspiel blieb im Februar/März 1925 die Ministerpäsidentenschaft in Preußen; er wurde zweimal gewählt, aber es gelang ihm keine Regierungsbildung. Seine Mitgliedschaft im Reichstag währte insgesamt von 1910 (einschließlich der Nationalversammlung 1919/1920) bis zur Niederlegung des Reichstagsmandats am 10. Juni 1932. Nach der eingangs bereits erwähnten Wahl zum Fraktionsvorsitzenden wurde er am 17. Januar 1922 Vorsitzender seiner Partei und blieb es bis zu seinem Rücktritt am 8. Dezember 1928. Am 30. November 1923 übernahm er als Reichskanzler eine Minderheitsregierung aus DVP, BVP, Zentrum und DDP (Kabinett Marx I) und regierte mit Hilfe eines Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923, das ihm außerordentliche Vollmachten gab. Seine Reichskanzlerschaft setzte sich nach der nächsten Reichstagswahl mit derselben bürgerlich-konservativen Koalition fort (Kabinett Marx II), doch als die Wahlen am 7. Dezember 1924 keine Stärkung der ihn im Reichstag unterstützenden Parteien brachten und ihm keine Regierungsbildung gelang, trat er am 15. Januar 1925 als Reichskanzler zurück. Nur wenige Wochen später, am 28. März 1925, stellte ihn das Zentrum für die Nachfolge Friedrich Eberts als Kandidaten für die Reichspräsidentenwahl auf. Im 1. Wahlgang erreichte er nur knapp 4 Mio. Stimmen. Für den 2. Wahlgang wurde er Kompromisskandidat des aus SPD, DDP und Zentrum gebildeten “Volksblocks“. Die Bayerische Volkspartei (BVP), die bayerische Schwesterpartei des Zentrums, unterstützte jedoch Paul von Hindenburg, dem Wilhelm Marx mit 13,7 Millionen gegenüber 14,6 Millionen Stimmen deswegen unterlag, weil auch die Kommunisten nicht auf die Aufstellung ihres Kandidaten Ernst Thälmann verzichten wollten. Reichspräsident wurde er nicht, doch nahm er eine Berufung zum Reichsminister für Justiz und für die besetzten Gebiete an, bevor ihn Paul von Hindenburg nach dem Sturz des Kabinetts Luther am 17. Mai 1926 wieder zum Reichskanzler derselben Minderheitsregierung aus DVP, Zentrum und DDP ernannte (Kabinett Marx III). Nach einem Misstrauensvotum am 17. Dezember 1926 gegen ihn blieb Wilhelm Marx zwar Reichskanzler, doch nahm er mit Unterstützung eines Teils des Zentrums die Deutschnationale Volkspartei ( DNVP) in die Regierungskoalition auf (Kabinett Marx IV). Damit wurde aus der bürgerlich-konservativen eine rechtsgerichtete Regierung, und diesen Richtungswechsel nahmen die Wähler der Zentrumspartei und Wilhelm Marx übel. Die Partei, die über Jahre fest auf ihre Stammwähler zählen konnte (4 Mio. Wähler und 12 % der Stimmen) erlitt einen Einbruch und ging aus den Wahlen am 28. Mai 1928 mit der niedrigsten Abgeordnetenzahl in der Geschichte ihres Bestehens hervor. Nach der Erledigung eines Notprogramms trat Wilhelm Marx einen Monat später vom Kanzleramt zurück. Nach Aufgabe des Parteivoristzes im Dezember desselben Jahres und Niederlegung des Reichstagsmandats am 10. Juni 1932 zog er sich ganz aus der Politik zurück und lebte bis zu seinem Tod in Bonn.