"Preußen - Chronik eines deutschen Staates"
5. "Heil Dir im Siegerkranz" - die Zeit des Wilhelminismus (1871 -1918)
Katharina Thalbach:
"Ist es ein Grund zu feiern oder zu trauern? Es ist der Anfang vom Ende Preußens. Aus dem preußischen Königreich ist nun ein deutsches Kaiserreich geworden. Die Hohenzollern sind auf dem Höhepunkt ihrer Macht, am Ende werden sie vom Thron verjagt. Aber sie haben dem Zeitalter ihren Namen gegeben - ihren Vornamen - die wilhelminische Epoche.
Es ist die Zeit der Pickelhauben. Deutschland wird preußisch und Preußen wird deutsch. "Herrlichen Tagen führe ich Euch entgegen", ruft Wilhelm II. seinem Volk zu. Die Wirklichkeit sieht, wie immer, etwas anders aus."
Historiker streiten darüber, ob man nach der Reichsgründung überhaupt noch von preußischer Geschichte sprechen könne. Dennoch hat keine Epoche das Bild Preußens mehr geprägt als die wilhelminische. Bismarck als Jongleur auf der Weltkugel und als Raubtierbändiger im Reichstag, Kaiser Wilhelm I. als Länderfresser und eroberungshungriger Monarch, so sehen ausländische Karikaturen die starken Männer des Preußen-Deutschlands nach 1871. Danach folgt ein Herrscher, der keine Karikaturen braucht, weil er selbst fast eine ist: Wilhelm II., der sich in den Kopf gesetzt hat, seinem Reich einen "Platz an der Sonne" zu erobern und zur Weltmacht zu führen. Dazwischen ein kurzes 99-Tage Intermezzo, was später die respektlosen Untertanen in Berlin zu einer sprichwörtlichen Majestätsbeleidigung veranlassen wird: "Der greise Kaiser, der weise Kaiser und der Scheiße-Kaiser".
Preußen geht nach 1871 im Deutschen Reich auf, aber die widersprüchlichen preußischen Wesenzüge leben weiter, werden verstärkt und verzerrt. Aus Loyalität wird Untertanengeist, aus Nationalgefühl wird hemmungsloser Chauvinismus, aus militärischem Denken wird Militarismus. Und Preußen selbst, das als verblassendes Königreich im Kaiserreich weiter existiert, wird von inneren Widersprüchen zerrissen. Ostelbische Junker wollen ihre Privilegien behalten und die großbürgerlichen Wirtschaftsführer ihre Macht ausbauen, während die wachsende Arbeiterschaft Rechte einklagt und Missstände anprangert. Eine Deutsche Nation wird hochgehalten, die das Erbe des Heiligen Römischen Reiches antreten soll, doch in diesem neuen Reich leben Elsässer, Dänen und vor allem Polen, die nicht "germanisiert" werden wollen. Der Fortschritt marschiert, das Deutsche Reich wird zur führenden Industrienation und zum Weltmeister bei den Nobelpreisträgern, aber der Kaiser, der auch preußischer König ist, träumt von einer Herrschaft wie im Mittelalter. Das kann nicht gut gehen...