26. Oktober 1858 Friedrich Wilhelm IV. tritt aus gesundheitlichen Gründen zurück - Prinzregent Wilhelm übernimmt die Geschäfte
Prinz Wilhelm von Preußen übernimmt für seinen inzwischen schwer erkrankten Bruder, König Friedrich Wilhelm IV., die Regentschaft. Der Prinz ist schon 61 Jahre alt, als er die Regentschaft und 64 als er als Wilhelm I. das höchste Amt übernimmt. Anknüpfend an die Selbstkrönung Friedrichs I. 1701 in Königsberg findet wieder eine Krönungsfeier in der ostpreußischen Residenz statt und anschließend eine Huldigung in Berlin.
Eine seiner ersten Regierungsmaßnahmen ist die Umbildung des preußischen Kabinetts. An Stelle des konservativen Ministerpräsidenten Karl Otto von Manteuffel tritt der liberale Fürst Karl Anton von Hohenzollern-Sigmaringen.
Seine Grundsätze erläutert Prinzregent Wilhelm am 8. November in einer Ansprache an das neue Staatsministerium:
„...wir werden bemüht sein müssen, bei den veränderten Prinzipien der Rechtspflege das Gefühl der Wahrheit und der Billigkeit in alle Klassen der Bevölkerung eindringen lassen... In Deutschland muß Preußen moralische Eroberungen machen, durch eine weise Gesetzgebung bei sich, durch Hebung aller sittlichen Elemente und durch Ergreifung von Einigungselementen, wie der Zollverband es ist...“
Es beginnt in Preußen eine Periode, die schon von Zeitgenossen verheißungsvoll „Neue Ära“ genannt wird.
Die Reaktionszeit scheint endlich vorüber, ein neues politisches Zeitalter anzubrechen. Die „Freisinnigen Vaterlandsfreunde“ erklären am 19. Juli 1859:
„Unsere Hoffnung richten wir daher auf Preußens Regierung, welche durch den im vorigen Jahre aus freiem Antriebe eingeführten Systemwechsel ihrem Volke und ganz Deutschland gezeigt hat, daß sie als ihre Aufgabe erkannt hat, ihre Interessen und die ihres Landes in Übereinstimmung zu bringen, und für einen solchen Zweck Opfer an ihrer Machtvollkommenheit sowie die Betretung neuer und schwieriger Bahnen nicht scheut. Die Ziele der preußischen Politik fallen mit denen Deutschlands im wesentlichen zusammen. Wir dürfen hoffen, daß die preußische Regierung immer mehr in der Erkenntnis wachsen wird, daß eine Trennung Preußens von Deutschland und die Verfolgung angeblich rein preußischer Großmachtzwecke nur zu Preußens Ruin führen kann.“
Der Publizist Siegfried Fischer-Fabian schreibt über den Prinzregenten Wilhelm:
„Er war schlichten Gemüts, mit der vom Vater ererbten Aversion gegen alles Genialische, der Neigung zum Zaudern. Auch die Sparsamkeit stammte von Friedrich Wilhelm III. Die Kosten für seine Krönung zum Beispiel zahlte er aus eigener Kasse, und wenn nach Truppenparaden das von den Stabsoffizieren ersehnte Diner herannahte, zog er eine Semmel aus der Rocktasche. Vom Militärischen verstand er etwas, er war Soldat mit Leib und Seele und verkörperte die preußischen Tugenden in seinem Pflichtbewusstsein, seinem Fleiß, seinem Gerechtigkeitsgefühl, seiner Redlichkeit, in seiner ganzen Art, mehr zu sein als zu scheinen; aber auch die Untugenden, das Beschränkte, das Steif-Pedantische, die Übertragung militärischer Kategorien auf das zivile Leben, der Glaube, dass die Welt nicht sicherer ruhe auf den Schultern des Atlas als der preußische Staat auf seiner Armee, Denkweisen, die ihn zum Kartätschenprinz hatten werden lassen.“