1870 Die Belagerung von Paris
Prestigepolitik und die Furcht Frankreichs vor einem deutschen Hegemonialstreben führen 1870 zur Kriegserklärung an Preußen. Bismarck, als preußischer Ministerpräsident, nutzt die von ihm herbeigeführte Gelegenheit, um auch die übrigen deutschen Staaten, mit Ausnahme Österreichs, an diesem Krieg zu beteiligen. Drei an Zahl überlegene deutsche Armeen unter preußischer Führung dringen in Frankreich ein, und schlagen zwei französische Armeen in einer Reihe von Grenzschlachten. Im weiteren Verlauf der Operationen gelingt es eine der beiden feindlichen Armeen in der Festung Metz einzuschließen und die andere bei Sedan einzukesseln und zu vernichten. Fast das gesamte französische Heer samt ihrem Kaiser ist gefangen oder eingeschlossen. Dennoch ist der Krieg damit nicht beendet.
In Paris wird die Republik ausgerufen und mit eilig neu aufgestellten Milizverbänden die Kämpfe nun als Volkskrieg weitergeführt. Die Operationen der deutschen Armeen dehnen sich immer weiter in das französische Kernland aus. Einer der Schwerpunkte des Geschehens wird die Stadt Paris. Sie wird von etwa 300.000 Soldaten des neuen Heeres und den Bürgern verbissen verteidigt. Von deutscher Seite hat man die Absicht, die belagerte Stadt auszuhungern. Mit dem Fall von Paris verbindet sich, zumindest in der politischen Führung, die Hoffnung eines baldigen Kriegsendes. Die Kapitulation der Stadt, des nationalen Symbols und Zentrums, wird psychologisch als so schwerwiegend erachtet, dass jeder weitere Widerstand in Frankreich mit ihrer Einnahme zusammenbrechen müsste.
Bis zum 19. September wird die französische Hauptstadt vollständig eingeschlossen. Der Frage der Belagerung und später auch der Beschießung von Paris gehen heftige Kontroversen zwischen militärischer und politischer Führung voraus. Während der Generalstabschef Helmuth von Moltke eine Belagerung von Paris aus strategischen Gründen ablehnt, sieht der preußische Kanzler Otto von Bismarck im Fall von Paris das Mittel, den Widerstandswillen des französischen Volkes zu brechen. Moltke dagegen sieht seine Truppen durch die Einschließung gebunden. Er will die Streitkräfte des Gegners in der offenen Feldschlacht vernichten. Dann, so meint er, würde Paris und die anderen befestigten Orte von alleine fallen. Dazu sieht er die Gefahr, dass bei einem Entsatz der Stadt in Kombination mit einem Ausbruch der Verteidiger, der gesamte mühsam herbeigeschaffte Belagerungspark verloren gehen müsste. Trotz aller Bedenken und militärischen Argumente kann Bismarck sich jedoch durchsetzen. Der Fall der bis dahin belagerten Festung Metz hat genügend Kräfte freigemacht, um Paris zu belagern und gleichzeitig im Feld operieren zu können. Den Nachrichten zufolge, die das große Hauptquartier Anfang Oktober hat, reichen die Lebensmittelvorräte in Paris sechs Wochen. Allgemein rechnet man Anfang November mit dem Fall der Stadt. Das die Pariser dann über drei Monate durchhalten würden, ist nicht erwartet worden. Auf französischer Seite versucht man den Belagerungsring zu durchbrechen. Derartige Versuche scheitern jedoch. Die französischen Milizarmeen sind gekennzeichnet durch mangelnde Disziplin und Ausbildung. Sie werden von den an Zahl unterlegenen, aber gut ausgebildeten und geschickt operierenden deutschen Truppen zurückgeschlagen.
Während des deutschen Vormarsches auf Paris fliehen viele Einwohner des umliegenden Landes in die von Forts und Befestigungswerken umgebene Stadt.
Als die ersten deutschen Truppenkörper vor der Stadt auftauchen, macht sich Panik breit. Lebensmittelrationierungen werden erlassen und Bezugskarten ausgegeben. Bedürftige können sich bei den Nationalgarden registrieren lassen und bekommen dafür eine geringe monetäre Unterstützung. Garküchen sollen die Ärmsten der Armen versorgen. Die Nationalgarden selbst zeichnen sich weniger durch Kampfhandlungen aus, als vielmehr durch den Polizei- und Ordnungsdienst innerhalb der Stadt. Durch die zunehmende Nahrungsmittelknappheit können Schwarzmarktgeschäfte und ein starkes soziale Gefälle zwischen den Begüterten und Mittellosen bald nicht mehr verhindert werden. Zum Jahreswechsel 1870/71 ist die Versorgungslage bereits hoffnungslos geworden. Sogar für Ratten und Mäuse wird viel Geld verlangt. Ein Zeitzeuge berichtet:
„Ist das eine Weihnacht! Kirchen und Restaurants sind geschlossen, letztere bis auf einige wenige, wo die Speisekarte kurz, die Rechnung dagegen sehr lang ist, und wo man gegen teures Geld seltsame Gerichte bekommt, Esel- und Mauleselfilets, Bären,- Känguruh,- Strauß,- Condor- und Antilopenbraten, d.h. wenn man es glauben will, ich aber glaube das Meiste ist Nichts als Hunde,- Katzen,- Ratten- und Pferdefleisch, weil die übrigen Thiere nicht so zahlreich vorhanden und zu teuer sind.
(...)Katzen kosten gegenwärtig 12 bis 20 Frcs., natürlich gestohlene Waare, Ratten zwei Frcs.“ (...)Katzen kosten gegenwärtig 12 bis 20 Frcs., natürlich gestohlene Waare, Ratten zwei Frcs.“
Sind die Verluste unter der Zivilbevölkerung durch die deutsche Beschießung, die sich auf die militärischen Anlagen konzentriert, verhältnismäßig gering, fordern Hunger, Kälte und Krankheiten ungleich mehr Opfer. Im Durchschnitt sind pro Woche etwa 800 bis 1000 Tote zu beklagen. Bis in die zweite Januarhälfte hinein erhöht sich deren Zahl auf 5000. Ende Januar ist dann die Widerstandskraft der Pariser erlahmt. Die republikanische Regierung läßt am 23. Januar ihren Friedenswillen erkennen. Daraufhin wird die seit Ende Dezember andauernde Beschießung von Paris sofort eingestellt. Unter der Bedingung, dass die Armeeeinheiten lediglich ihre Waffen abzugeben haben, nicht aber in Gefangenschaft geraten, die Nationalgarde nicht Entwaffnet werde, sowie kein deutscher Soldat in Uniform die Stadt betreten dürfe, kapituliert Paris am 28. Januar 1871. Damit ist auch wie von Bismarck erwartet, der Krieg gegen Frankreich beendet.
Einen Monat später wird in Paris die Pariser Kommune proklamiert.