Karte 1866
Otto Eduard Leopold von Bismarck Albrecht von Roon Wilhelm I. von Preußen Heinrich von Treitschke August Bebel

8. Oktober 1862    Der neue Ministerpräsident Bismarck regiert gegen das Parlament

Audio mit QuizfrageSchon das ganze Jahr schwelt zwischen Regierung und Parlament ein schwerer Konflikt. Das liberale Parlament verweigert den Haushalt für die von Regierung und König erwünschte Heeresreform. Aus dem Heereskonflikt wird ein Verfassungskonflikt, denn ein Regieren ohne genehmigten Haushalt ist mit der Verfassung unvereinbar. Dennoch ist der König dazu entschlossen. Als jedoch die Minister die äußerste Zuspitzung des Konflikts vermeiden wollen, glaubt der König, sich auf die Regierung nicht mehr verlassen zu können und denkt an Abdankung.

RealVideo mit Katharina ThalbachAm 21. September 1862, einem Sonntag, sucht der junge preußische Kriegsminister Albrecht von Roon nach dem Gottesdienst den König in Babelsberg auf und schlägt ihm vor, den bisherigen preußischen Gesandten in Paris, Otto Eduard Leopold von Bismarck zum Ministerpräsidenten zu berufen. König Wilhelm fragt Bismarck, ob er auch willens sei, die Militärreorganisation zu übernehmen und gegen die Majorität des Parlaments und deren Beschlüsse zu regieren. Bismarck bejaht. Wie ein kurbrandenburgischer Lehnsmann wolle er seinem Herrn in Not und Gefahr mit „Rat und Hilfe“beistehen.

"Ich fühle mich wie ein kurbrandenburgischer Vasall, der seinen Lehnsherrn in Gefahr sieht. Was ich vermag, steht Eurer Majestät zur Verfügung."

Wilhelm jedoch, eigentlich kein Freund einer Konfrontationspolitik, bleibt skeptisch:

„Ich sehe ganz genau voraus, wie das alles enden wird. Auf dem Opernplatz, vor meinen Fenstern, wird man ihnen den Kopf abschlagen, und etwas später mir.“

Bismarck: „Ja, dann sind wir tot. Aber sterben müssen wir früher oder später doch, und können wir anständiger umkommen? Ich selbst für die Sache meines Königs, und Eure Majestät, indem Sie ihre königlichen Rechte von Gottes Gnaden mit dem eigenen Blut besiegeln...“

Der Appell an den Soldatentod überzeugt den durch und durch soldatisch denkenden König. Ein Bund ist geschlossen, der 26 Jahre währt. Der wankelmütige, oft entschluss- und mutlose König hat im Grunde einen solch entschlossenen Politiker wie Bismarck herbeigesehnt.

Gerade noch rechtzeitig, denn erneut stehen Konflikte mit dem widerspenstigen Parlament ins Haus: Am Tag vor Bismarcks Ernennung lehnt das Abgeordnetenhaus den Haushaltsentwurf für das Jahr 1862 ab. Der Ministerpräsident tritt die Flucht nach vorn an. Vor der Budgetkommission des Preußischen Abgeordnetenhauses hält er seine berühmt-berüchtigte „Blut und Eisen“- Rede.

Der Inhalt von Bismarcks Rede ist nur sinngemäß durch einen Zeitungsbericht überliefert:

„Nicht auf Preußens Liberalismus sieht Deutschland, sondern auf seine Macht; Bayern, Württemberg, Baden mögen dem Liberalismus indulgieren, darum wird ihnen doch keiner Preußens Rolle anweisen; Preußen muß seine Kraft zusammenfassen und zusammenhalten auf den günstigen Augenblick, der schon einige Male verpaßt ist; Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen –, sondern durch Eisen und Blut.“

Die allgemeine Entrüstung über den sich anbahnenden Verfassungsbruch fasst der liberale Politiker Max von Forckenbeck in dem Satz zusammen:

„Bismarck-Schönhausen bedeutet: Regieren ohne Etat, Säbelregiment im Innern, Krieg nach außen. Ich halte ihn für den gefährlichsten Minister für Preußens Freiheit und Glück.“

Selbst der konservativ-nationale Historiker Heinrich von Treitschke lehnt Bismarck noch ab. Ende September 1862 schreibt er dem badischen Politiker Wilhelm Nokk:

„Du weißt, wie leidenschaftlich ich Preußen liebe; höre ich aber so einen flachen Junker, wie diesen Bismarck, von dem ‚Eisen und Blut’ prahlen, womit er Deutschland unterjochen will, so scheint mir die Gemeinheit nur noch durch die Lächerlichkeit überboten.“

P.S.

Die liberalen Abgeordneten weigern sich weiter den Haushaltsplan zu bewilligen und damit der Heeresreform zuzustimmen. Bismarck setzte die Interessen des Königs durch, indem er sich auf eine Lücke in der preußischen Verfassung beruft. Diese Lückentheorie lässt er sich später vom Parlament absegnen. Die geplanten Ausgaben für die Heeresreform bestreitet er mit Steuern, die dank der guten wirtschaftlichen Lage eine zuverlässige Einnahmequelle bilden. Insgesamt vier Jahre lang regiert er ohne Budget. Die Mehrheit der Bevölkerung steht jedoch hinter den Abgeordneten und vor allem die Presse kritisiert Bismarcks verfassungsfeindliche Politik heftig. Daraufhin erlässt er 1863 eine Presse-Verordnung, welche die Pressefreiheit stark einschränkt.

Bismarcks „Blut und Eisen“-Politik führt schließlich über drei Kriege zur „ kleindeutschen“ Reichsgründung im Jahre 1871.

Ein Zeitgenosse Bismarcks, der Sozialdemokrat August Bebel über den Charakter dieses deutschen Reiches:

"... Das mit "Blut und Eisen" mühsam zusammengeschweißte Reich ist kein Boden für die bürgerliche Freiheit, geschweige für die soziale Gleichheit! Staaten werden mit den Mitteln erhalten, durch die sie gegründet wurden. Der Säbel stand als Geburtshelfer dem Reich zur Seite, der Säbel wird es ins Grab begleiten!"

Schloß Babelsberg heute

Fürst Bismarck bei König Wilhelm I

Das Ministerium Bismarck im Jahr 1862