Franckesche Stiftungen
Der Grundstein der bald äußerst umfangreichen Bildungs- und Wohlfahtseinrichtung war das Waisenhaus, das der pietistische Professor und Pastor August Hermann Francke als Reaktion auf das in seiner Pfarrei Glaucha bei Halle herrschende Elend und die Verwahrlosung der dortigen Bevölkerung gründete. Nur kurze Zeit später kam das für Bürger- und Adelskinder bestimmte paedagogium regium hinzu und schließlich 1697 die auf das (Theologie-) Studium vorbereitende Lateinschule. Komplettiert wurden die Schulen durch Seminarium praeceptorum, auf dem den Lehrern, zumeist Theologiestudenten der Universität Halle, Grundlagen der Pädagogik vermittelt bekamen. Es war die erste Ausbildungsstätte für Lehrer in Deutschland überhaupt.
Unabhängig von der (nicht einmal durchgängig) ständischen Gliederung der Schulen war der Lehrplan für die den Waisenkindern offenstehende Lateinschule und das noble paedagogium der gleiche, da die der Erziehung zugrunde gelegten Ideale für alle Stände gleichermaßen galten. Die stark religiös geprägte Erziehung zielte auf eine Einstellung, in der nicht Eigennutz und Selbstsucht, sondern allein das Vertrauen in Gott und der Dienst an Gott einen Platz haben. Aus dieser „Gottseligkeit“ sollte sich die „christliche Klugheit“ entwickeln und der Zögling seine gottgegebenen Begabungen in fast ununterbrochener Tätigkeit entwickeln. Es verbanden sich also frommes Gottvertrauen mit der Entwicklung von in der Welt nützlichen Fähigkeiten, die die damals modernen Wissenschaften ebenso einschloß wie handwerkliche Tätigkeiten, die beide gleichermaßen auf dem paedagogium gelehrt wurden.
Zu den Stiftungen gehörte auch ein Krankenhaus und eine große Apotheke. Beide dienten neben der Gesundheitspflege und Ausbildungszwecken ebenso der Aufbesserung der Einnahmen, die nicht zuletzt die umfangreichen Baumaßnahmen erforderlich machten. Das gleiche gilt für den Verlag, die Buchhandlung und die Druckerei. Auch die weitgespannten Handelsbeziehungen gaben den Anstalten den Charakter eines Wirtschaftsunternehmens. Weniger Erfolg hatte Francke mit anderen Projekten wie einer Strumpf- und einer Leinwandmanufaktur. Die eingehenden Spenden wurden häufig in Landbesitz angelegt.
In den Stiftungen lernten 1727 mehr als 2200 Schüler, die von ca. 200 Lehrern unterrichtet wurden. Viele von ihnen wurden später hochgestellte Persönlichkeiten im preußischen Staat, so daß der Einfluß von Franckes Gründung auf Preußens Staat und Gesellschaft kaum zu ueberschätzen ist. Die die Ständeschranken relativierenden Anstalten haben nicht zuletzt die Verbürgerlichung des preußischen Adels entscheidend gefördert. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde der pietistische Geist allerdings immer mehr von der Aufklärung verdrängt. Bis 1945 zu ihrer Liquidierung durch die DDR nach waren die Franckeschen Stiftungen eine unabhängige Bildungseinrichtung, seit 1990 sind sie es wiederum.