Berliner Tageblatt
Gegründet 1871 in Berlin von Rudolf Mosse, sollte ein sachlich- fortschrittliches Lokalblatt sein und mit einem großen Anzeigenteil die Interessen vor allem der Berliner Geschäftswelt vertreten. Die Zeitung war von Anfang an ein Erfolg und beschäftigte unter anderen so berühmte Autoren wie Alfred Kerr, Alfred Polgar und Kurt Tucholsky, der bis 1922 die Beilage Ulk redigierte, Joseph Roth, Hermann Bahr und George Grosz. Dennoch kam es 1875 zu einer Rebellion der Belegschaft, zum Auszug und zur Gründung eines Konkurrenzunternehmens, des „Neuen Berliner Tageblatts“, das jedoch bereits 1877 bankrott ging, während das Mutterblatt im selben Jahr bereits 50 000 Abonnenten hatte. Die Zeitung, die vor allem auch wegen des wirtschaftlichen Teils einen internationalen Anspruch vertrat, war die erste in Deutschland, die ab 1928 ganz in Antiqua gesetzt wurde, und nicht mehr in Fraktur, dem „typographischen Stacheldrahtzaun“, der bis dahin die Lesbarkeit der deutschen Zeitungen und Zeitschriften im Ausland versperrt hatte. Im selben Jahr nannte Karl Kraus das Berliner Tageblatt "Ein Wertheim der öffentlichen Meinung, ein Kempinski der geistigen Nahrung, wo der Wolff neben dem Lämmchen grast" (Fackel 795, S. 86). Den Anspruch der Zeitung repräsentierte Theodor Wolff, der von 1906 bis 1933 Chefredakteur war. Im Januar 1932 erschien sein Artikel 'Die Kinder dieser Zeit', an dessen Ende er auf jene "Burschen" zu sprechen kam, "die eben wieder im Garten der Berliner Universität auf die Andersdenkenden einschlugen, antisemitische Drecklieder grölten und Kinder der ewigen Blödheit sind, nicht Kinder dieser Zeit." Und Wolff fährt fort: "Es hat etwas Symbolisches, daß sich, wie gewöhnlich, dieser Exzeß roher Dümmlinge hinter dem Rücken des steinern dasitzenden Alexander von Humboldt begab. Der große liberale Lehrer und Mehrer des lichten Kulturgeistes ist mit seinem Herzen bei jenen Studierenden gewesen, die stolz das Schwarz-Rot-Gold trugen und freiheitsbegeistert gegen die Reaktion aufstanden, und von dem, was sich hier auch deutscher Student nennt, wendet er sich mit Widerwillen ab.“ Zum Zeitpunkt dieses Artikels hatte sich die Zeitung allerdings, die man lange als gemäßigt linksdemokratisch einstufen konnte, schon ziemlich dem neuen Zeitgeist angepasst; Leserschwund, der dadurch aufgefangen werden sollte, war die Ursache – aber vielleicht auch die Folge. Noch im selben Jahr musste der Verlag Mosse Konkurs anmelden und befand sich gerade noch in Verhandlungen mit den über 8000 Gläubigern, als die Nationalsozialisten die Regierung übernahmen. Der damals schon 65jährige Chefredakteur Theodor Wolff wurde sofort unter Druck und Drohungen gezwungen, die Redaktion zu verlassen, ging nach Frankreich ins Exil (er lebte überwiegend in Nizza), entkam jedoch den Nazis nicht und starb 1943 nach der Inhaftierung in 11 Konzentrationslagern und Gefängnissen. 1934 wurde der Verlag Mosse von Max Winkler, dem Reichsbeauftragten für die Gleichschaltung der Presse, in die Berliner "Druck- und Zeitungsbetrieb A.G." überführt, was bedeutet, in den Besitz der NSDAP und ihres Parteiverlages Franz Eher Nachf. in München gebracht. Die Absicht des Reichspropagandaministers, diese wie viele andere Zeitungen und ihre Leserschaften als zensierte Geldquelle zu nutzen, erfüllte sich im Falle des Berliner Tageblatts nicht zur Zufriedenheit ihrer neuen Besitzer. Die Zeitung scheiterte an der schlechten Qualität nationalsozialistischer Redakteure und wurde 1939 eingestellt.